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Aus: Ausgabe vom 21.03.2024, Seite 4 / Inland
Bürgerlicher Parlamentarismus

AfD setzt auf Karlsruhe

Bundesverfassungsgericht verhandelt Beschwerden wegen verweigerter Posten im Bundestag. Partei will Vorsitzende von Ausschüssen stellen
Von Marc Bebenroth
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Längst abgewählt: Stephan Brandner als Vorsitzender im Rechtsausschuss (Berlin, 14.5.2018)

In Ausnahmefällen wie der Treuebekundung für die koloniale Besatzungsmacht Israel kann die AfD im Bundestag offen als Teil eines größeren Parteienblocks auftreten. Die ansonsten praktizierte Ausgrenzungsstrategie führt dazu, dass am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verhandlung über Beschwerden der Rechtsaußenfraktion begonnen hat. Zum einen geht es dabei um den Verlust des Vorsitzendenpostens des Abgeordneten Stephan Brandner im Rechtsausschuss 2019. Zum anderen muss Deutschlands höchstes Gericht über die wiederholten Niederlagen der AfD bei der Postenvergabe in anderen Ausschüssen urteilen. Karlsruhe biete sich damit die Gelegenheit, sich erstmals mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, sagte Gerichtsvizepräsidentin Doris König zu Beginn der Verhandlung.

Gemäß dem Parteienproporz im Bundestag hatte die AfD-Fraktion zunächst auf die Chefposten im Innen-, im Gesundheits- und im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zugegriffen. Doch als es darum ging, die Posten tatsächlich zu besetzen, fehlte der Partei jeweils die nötige Mehrheit der Ausschussmitglieder. Per Organklage soll deshalb das Bundesverfassungsgericht der Fraktion beispringen. Mit Eilanträgen scheiterte die Partei, da das Gericht mehrere zu klärende Fragen sah.

Der AfD geht es vermutlich vor allem um das Prestige und die propagandistisch nutzbare Bühne, die mit dem Amt eines Ausschussvorsitzenden einhergeht. Laut Paragraf 59 der Geschäftsordnung des Bundestags »obliegt die Vorbereitung, Einberufung und Leitung der Ausschussitzungen sowie die Durchführung der Ausschussbeschlüsse« dem jeweiligen Vorsitz. Dieser erteilt das Wort und kann Sitzungen unterbrechen. Welche Themen in welcher Abfolge besprochen werden, legt der Ausschussvorsitz unter Umständen ebenso fest wie die Berichterstattenden.

Den von der Partei behaupteten Anspruch hatte zuletzt der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler am 13. März im Gesundheitsausschuss bekräftigt, indem sich der Obmann auf den Platz der Vorsitzenden Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) gesetzt hatte und diesen zunächst nicht hatte räumen wollen, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland am Tag darauf berichtete. Er habe für die Aktion ein selbstgebasteltes Namensschild mit der Aufschrift »Ausschussvorsitzender« dabei gehabt. Die echten Schilder weisen die Amtsinhaber als »Vorsitzender« aus.

Ziegler droht nun ein Ordnungsgeld. Laut Spiegel-Bericht vom 14. März hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) für die Aktion im Gesundheitsausschuss ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Angedacht sei eine Summe von 1.000 Euro. Geprüft werden solle dem Bericht zufolge auch, ob der AfD-Abgeordnete weiterhin Schriftführer im Bundestag bleiben könne.

Über ein echtes »Vorsitzender«-Schild hatte bis zu seiner Abwahl im November 2019 Stephan Brandner verfügt. Seinen Posten an der Spitze des Rechtsausschusses hatte er unter anderem dafür genutzt, die Abschaffung der »Ehe für alle« zu beantragen oder förmlich zu fordern, »Deutsch als Landessprache« im Grundgesetz festzuschreiben. Das Amt gekostet hat ihn letztlich seine Aktivität auf Social-Media-Plattformen. Dort hatte er beispielsweise den antisemitischen Hintergrund des rechtsterroristischen Anschlags auf die Synagoge in Halle von 2019 in Zweifel gezogen. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für den – AfD-kritischen – liberalen Rocksänger Udo Lindenberg hatte Brandner als »Judaslohn« bezeichnet. Mit Ausnahme der AfD-Abgeordneten stimmten schließlich alle Ausschussmitglieder für Brandners Abberufung.

Sollte das Urteil aus Karlsruhe, mit dem wohl erst in einigen Wochen zu rechnen ist, nicht im Sinne der AfD ausfallen, dürfte die zu erwartende Freude über die fortgesetzte Ausgrenzung der AfD im Bundestag bei Linken und Antifaschisten von begrenzter Dauer sein. Schließlich ließe sich in diesem Fall auch eine linke Oppositionskraft mit höchstrichterlichem Segen von entscheidenden Posten im Parlament ausschließen.

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