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Aus: Ausgabe vom 21.03.2024, Seite 8 / Inland
Internationaler Tag gegen Rassismus

»Polizisten müssen Konsequenzen erfahren«

»Internationaler Tag gegen Rassismus«: Neue Beschwerdestelle für Polizeigewalt unzureichend. Ein Gespräch mit Parto Tavangar
Interview: Gitta Düperthal
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Der neue »Polizeibeauftragte« des Bundestags wird das Problem der Polizeigewalt wohl nicht lösen (Berlin, 1.8.2013)

Der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch wurde am Mittwoch als erster Polizeibeauftragter des Bundestages vereidigt. An diesem Donnerstag ist »Internationaler Tag gegen Rassismus«. Wie viel Arbeit kommt beim Thema Eindämmung von »Racial Profiling« auf Grötsch zu?

Wir wissen durch die jahrelange Begleitung von Opfern rassistischer Gewalt in unserer Beratungsstelle, dass es bei der deutschen Polizei ein strukturelles Problem gibt, weil sie rassistisch agiert. Stellen Betroffene dort Anzeigen, weil sie rassistische Polizeigewalt erleben mussten, werden sie meist nicht gehört. Es gibt sogar eine Opfer-Täter-Umkehr: Von Polizeigewalt Betroffene werden als Täter dargestellt; beschuldigte Polizisten als Opfer. Wir fordern schon seit Jahren eine unabhängige Beschwerdestelle. Es macht keinen Sinn, dass die Polizei in solchen Verfahren gegen sich selber ermittelt. So wird Betroffenen, die rassistische Polizeigewalt erlebt haben, jegliche Möglichkeit genommen, Gerechtigkeit zu erfahren.

Was kann der neue Polizeibeauftragte bewirken, um diesen Missstand zu verbessern? Ist er als ehemaliger Polizist befangen?

Wir bezweifeln stark, dass es für die Betroffenen hilfreich sein kann, wenn ein ehemaliger Polizist diese Rolle übernimmt. In Berlin beispielsweise hat ein Richter sie übernommen. Auch das ist ein Problem! Eine Beschwerdestelle für Betroffene von Polizeigewalt sollte eher eine von der Polizei unabhängige Stelle sein. Wir erwarten, dass es eine Vernetzung mit Menschenrechtsorganisationen gibt sowie mit den Communitys der Betroffenen rassistischer Übergriffe. Auf die Institutionen muss kritisch geblickt werden, und es braucht ein Verständnis für den bei der Polizei strukturell vorhandenen Rassismus und das interne Machtgefälle.

Damit Betroffene Vertrauen aufbauen können, dass eine Beschwerde überhaupt sinnvoll ist, müssen sie merken: Polizistinnen und Polizisten, die rassistisch handeln, erfahren Konsequenzen und werden aus dem Polizeidienst entfernt. Es muss sichergestellt werden, dass diese ihre Aussagen bei Ermittlungen und vor Gericht im Fall eines rassistischen Übergriffs vorher untereinander nicht absprechen können.

Ist die Einführung eines Polizeibeauftragten des Bundestags ein Deckmantel dafür, dass man an den verkrusteten Strukturen im Grunde nichts ändern will?

Wir befürchten in der Tat, dass die eingerichtete Beschwerdestelle für die Betroffenen keinen Fortschritt darstellt.

Was würden Sie Grötsch raten zu veranlassen?

Weil wir seine Rolle stark kritisieren, können wir ihm keine Empfehlungen geben. Die Befugnisse, die er oder auch Polizeibeauftragte der Länder haben, erschöpfen sich darin, einen Dialog zu führen – nicht, wie wir es fordern, dafür zu sorgen, dass Polizeibeamte zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie rassistisch agieren. Wir fordern eine Stelle, die bewirkt, dass Betroffene zu ihrem Recht kommen, und keine, die nur zum Schein da ist, damit man das Thema abhaken kann.

Grötsch warnte im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor der Unterwanderung der Polizei durch »Rechtsextremisten«. Wie werten Sie das?

Es trifft zu, dass die Polizei strukturell rassistisch eingestellt ist, und so mit Hilfe der Staatsanwaltschaften und der Justiz agiert – nicht jedoch die dabei mitschwingende Folgerung, dass es sich dabei um Einzelfälle handeln würde. Extrem rechte Gruppierungen nutzen das. Die Polizei kontrolliert verdachtsunabhängig verstärkt »People of Colour«: Verfahren werden meist eingestellt. Die Betroffenen sind verzweifelt, weil ihnen weder bei der Polizei noch vor Gericht geglaubt wird. Die Polizei wird legitimiert, wenn sie Gewalt ausübt, selbst wenn es sich dabei um tödliche Gewalt handelt. In einem Urteil vom 18. Oktober 2022 konstatierte der Europäische Gerichtshof, dass es nicht in Ordnung geht, dass die deutsche Polizei in solchen Fällen gegen sich selbst ermittelt.

Parto Tavangar ist Bildungs­referentin und Beraterin bei »Reachout«

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