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Aus: Ausgabe vom 25.03.2024, Seite 8 / Inland
Alleinerziehende Eltern in der BRD

»Auf dem Arbeitsmarkt sind sie benachteiligt«

Alleinerziehende machen in Berlin über 30 Prozent aller Haushalte aus. Ein Gespräch mit Gabriele Schmitz
Interview: Gitta Düperthal
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Muss es schaukeln: Mutter mit Kind in Hamburg (16.9.2013)

Zum Internationalen Tag der Alleinerziehenden berichtete der Berliner Beirat für Familienfragen am Donnerstag, dass Alleinerziehende und ihre Kinder mehr als 30 Prozent aller Haushalte ausmachen – zugleich haben sie ein dreifach erhöhtes Armutsrisiko. Wie kommt es, dass der Berliner Senat deren Interessen bislang kaum wahrnimmt?

Das ist kein Berliner Problem. Bundesweit erhält die Familienpolitik nicht den Stellenwert, den sie haben müsste. Sie wird eher beiläufig betrachtet. Zuständige Senatsstellen und Verwaltungen in Berlin haben das verstanden und nehmen es auch wahr. Falsch ist aber, dass sich stets nur die Fachressorts darum kümmern. Betrachtet man die Wohnungsnot oder steigende Lebensmittelpreise: Familien, erst recht aber Alleinerziehende, die selbst die Sorgearbeit leisten und zugleich für das Familieneinkommen verantwortlich sind, haben es besonders schwer.

Handelt es sich eher um Frauen oder Männer?

Die Zahlen zeigen: Überwiegend Mütter erziehen ihre Kinder alleine, insbesondere im Fall jüngerer Kinder. Je älter die werden, desto höher der Anteil der Väter. Auf Berlin bezogen liegt bei minderjährigen Kindern der Anteil der alleinerziehenden Frauen bei 90 Prozent, bei über 18jährigen bei 81 Prozent. Um alleinerziehend genauer zu definieren: Es gibt auch getrennt Erziehende, wobei der Vater unterstützt; oder Patchworkfamilien, wobei der neue Partner mitsorgt. In Berlin gibt es aufgrund des hohen Anteils von Zugezogenen aus dem Bundesgebiet oder anderen Ländern besonders viele Alleinerziehende. Deren Lage ist verschärft. Weder Großeltern kümmern sich, noch – wie häufig auf dem Land – Nachbarn. Sie tragen die gesamte Sorge. Ist ein Kind krank oder die Kita geschlossen, müssen sie sich um die Kleinen kümmern. Auf dem Arbeitsmarkt sind sie benachteiligt, haben kaum zuverlässige Jobs, obgleich Studien besagen, dass diese Frauen im Beruf oft engagierter sind. Ihnen sei ihre Arbeit besonders wichtig. All das führt zur Armutsgefährdung.

Ist der Anteil von Alleinerziehenden unter Migrantinnen groß?

Im Fall der Ukrainerinnen ist es eindeutig so, weil meist nur die Frauen mit den Kindern flüchten. Häufig zu Trennungen kommt es offenbar auch in der afrikanischen oder türkischen Community.

Wie ist die hohe Anzahl Alleinerziehender insgesamt zu erklären? Ist das Modell der Kleinfamilie obsolet?

Die Gleichberechtigung spielt eine Rolle. Frauen sind teilweise hochqualifiziert und wollen ihren Beruf ausüben. Es geht um mehr Freiheit. Trennung ist nicht immer das Schlechteste. Auch bei den Männern hat sich einiges verändert. Viele wollen nicht mehr die klassische Rolle des Alleinernährers übernehmen. Unsere Gesellschaft ist offener und toleranter gegenüber unterschiedlichen Familienkonstellationen geworden.

Ist das bei den Regierenden noch nicht angekommen, die Modelle wie Ehegattensplitting weiter betreiben, als hätte sich nichts verändert?

Das Ehegattensplitting ist nicht zeitgemäß. Es fördert das Modell der Ehe, nicht der Familie. Mit der Ampel gibt es erstmals eine Regierung, die etwas ändern will, es aber noch nicht realisiert. Derzeit geht es um die Kindergrundsicherung. Wir hätten uns gewünscht, dass sie nicht die Einzelperson in der Förderung berücksichtigt, sondern mit einer Familiengrundsicherung die Gemeinschaft, die die Sorgearbeit leistet, unterstützt.

Was sollte der Berliner Senat politisch ändern?

Für das Verfassen unseres Familienberichts, den wir 2025 veröffentlichen, habe ich mich mit Beschäftigten der neu eingerichteten Kontaktstellen für Alleinerziehende beraten. Zu hören war, dass viele in beengten Wohnungen leben. Aufgrund des Mangels an preisgünstigem Wohnraum sei es kaum möglich, sich zu trennen. Zugleich sei der Lebensunterhalt teuer geworden. All das kann zu Spannungen führen, im Extremfall zur Kindeswohlgefährdung. Es gilt, für familiengerechten Wohnraum und zuverlässige Infrastruktur zu sorgen. Das gehört zur angemessenen Familienpolitik.

Gabriele Schmitz ist Leiterin der Geschäftsstelle des Berliner Beirats für Familienfragen

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