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Leserbrief zum Artikel Kolumbien: Erneut Massaker mit 17 Toten vom 24.08.2020:

Soziale Säuberung

Mit der Wahl von Herrn Iván Duque 2018 zum Präsidenten von Kolumbien war klar, dass es der eingeleitete Friedensprozess durch den vorherigen Präsidenten Juan Manuel Santos mit der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) schwer haben würde. Bereits vor seiner Wahl hatte Duque verkündet, diesen Vertrag massiv zuungunsten der FARC ändern zu wollen. Mittlerweile ist erkennbar: Zwei Jahre nach seiner Amtseinführung wurden zwar die meisten seiner anderen Versprechen nicht eingehalten. Sein Versprechen jedoch, das Friedensabkommen rückgängig zu machen, verfolgt er unbeirrt. Die schlimmsten Befürchtungen wurden sogar überboten. Nach anfänglicher Beruhigung der Lage gehören Mord, Folter, Vergewaltigung und Vertreibung wieder zum alltäglichen Tagesgeschehen. Soziale Bewegungen werfen der Regierung Duque vollkommene Unfähigkeit vor. Unter seiner Präsidentschaft sei das Land zu den schlimmsten Zeiten der Gewalt zurückgekehrt.
Durch die Pandemie wird die Lage noch verschlimmert, da alle Welt auf die Ausbreitung des Coronavirus sieht, nutzen die oft mit dem Militär kooperierenden ultrarechten Paramilitärs die Ablenkung und schlagen noch heftiger zu. Die verhängten Ausgangssperren führen dazu, dass sich bedrohte Aktivisten, Funktionäre oder ehemalige FARC-Kämpfer nicht mehr frei bewegen können und durch die Mordkommandos leichter aufzuspüren sind. Mit dem Ergebnis, dass laut UN-Büro für Menschenrechte in Kolumbien bisher 33 »Massaker« dokumentiert sind. Unter Massaker versteht man: ab drei Tote am selben Ort mit demselben Täter zur selben Zeit. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 gab es darüber hinaus 97 Morde an Menschenrechtsaktivisten und 41 Morde an ehemaligen Guerillakämpfern der FARC.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warnt vor der Präsenz illegaler bewaffneter Gruppen in mindestens elf Regionen des Landes. Dort sollen diese ein Terrorregime eingeführt haben, das die Coronaviruskrise ausnutzt, um alle möglichen Arten von Misshandlungen gegen die Zivilbevölkerung zu verüben. Sie legen fest, wer wann sein Haus verlassen und wohin er gehen darf. Verstöße werden oft mit dem Tod geahndet. Hinzu kommt, dass die Zwangsrekrutierung von Minderjährigen wieder zunimmt.
Die Gewalt richtet sich vor allem gegen die sozial schwache Bevölkerung und wird von Kräften ausgeübt, die um territoriale Kontrolle kämpfen. In einigen Fällen gibt es auch Beteiligung von staatlichen Akteuren. Es gibt genug Hinweise, dass Armee, Polizei und Paramilitärs eng zusammenwirken.
Neu ist eine gewisse Dynamik der Gewalt an jungen Menschen. So wurden 33 junge Menschen im Süden Kolumbiens nur in wenigen Tagen getötet. Kolumbiens Präsident Iván Duque gab schon vor den ersten Nachforschungen über die Hintergründe dieser Verbrechen der Guerilla ELN (»Nationale Befreiungsarmee«) und »anderen Drogenbanden« die Schuld. Er ist leicht zu durchschauen. Er will schnell einen Verantwortlichen für sein Versagen finden und benennen.
In einem Kommuniqué vom 17. August wies die Friedensdelegation der ELN  die Vorwürfe umgehend zurück. Sie verweist darauf, dass es in der Region Nariño eine Allianz zwischen Militär, Polizei und den Paramilitärs wie den Los Contadores gibt, die verantwortlich sind für den Anstieg der Gewalt, Morde und den Massakern.
Durch die strengen Ausgangssperren werden alle sozialen Proteste im Keim erstickt. So kann die Stadtverwaltung in unterschiedlichen Städten, besonders Cali und Bogotá, problemlos illegale Stadtviertel räumen und die Hütten mit Bulldozern niederreißen. Die Menschen, die eigentlich zu Hause bleiben sollen, werden auf die Straße gesetzt, wo sie eigentlich nicht sein dürfen. Proteste dagegen werden unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung schnell mit Tränengas erstickt. Nach wie vor werden Bauern von ihrem Landbesitz vertriebenen die dann versuchen sich in den Städten anzusiedeln. Kaum jemand weiß, dass Kolumbien das Land mit der größten Anzahl von Binnenflüchtlingen ist. Schätzungsweise über acht Millionen.
Die kolumbianische Regierung ist verantwortlich für die vielen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land. Sei es direkt durch die Verbrechen des Militärs und der Polizei oder indirekt durch bewusstes Unterlassen wirksamer Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen. Aktuelle Regierungsstrategie angesichts der Gewalt ist die Verstärkung der staatlichen Repression.
In diesem Zusammenhang klage ich die deutsche Regierung an, diese Menschenrechtsverletzungen mit zu verschulden. Trotz Kenntnis dieser Zustände wird nicht mit notwendigem Druck auf die Verantwortlichen eingewirkt. Ich fordere die Regierung auf, endlich mit geeigneten Mitteln aktiv zu werden.
Peter Blöth
Veröffentlicht in der jungen Welt am 29.08.2020.