Leserbrief zum Artikel AfD-Vertreter treffen Lawrow in Moskau
vom 09.12.2020:
Haltung vermisst
Die jW zitiert hier den russischen Außenminister Sergej Lawrow unkommentiert: »Russland sei im Kontakt mit allen gewichtigen politischen Kräften in Deutschland, insbesondere auch der AfD, die die größte Oppositionskraft im Bundestag ist.« Ich kann mich an dieser Stelle nur eines Zitates von Max Liebermann bedienen (anlässlich des Vorbeimarsches der SA-Horden am Abend des 30. Januar 1933 unter den Fenstern seines Berliner Ateliers): »Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte!« Auch wenn wir als Linke die antirussische, imperialistische Politik des Westens als töricht und gefährlich für den Weltfrieden definieren, entbindet es uns nicht von der Pflicht, die Politik der derzeitigen russischen Regierung an den Stellen zu demaskieren und sie beim Namen zu nennen, wo sie es verdient. Wenn der russische Außenminister Vertreter einer rassistischen und in Teilen protofaschistischen deutschen Partei höflich zum Meinungsaustausch empfängt, so ist das reiner Machtpoker und widerlich und verdient unser aller Ablehnung und Abscheu. Man möge sich einen kurzen Moment vorstellen, der Außenminister der aktuellen US-Administration hätte die AfD-Vertreter eingeladen und vergleichbar höfliche Sätze formuliert. Das hätte sicherlich einen fundierten und klugen Bericht in der jW zur Folge gehabt. Zum wiederholten Maße vermisse ich hier eine kritischere und analytischere Haltung der jW zur aktuellen Politik der russischen Föderation.