Leserbrief zum Artikel SPD streitet über UN-Atomwaffenverbot
vom 28.12.2020:
Auf der richtigen Seite
Dass der »UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen« am 22. Januar 2021 in Kraft tritt, ist ein neuer Hoffnungsschimmer für alle Menschen der Welt. Daher unterstütze ich die Forderung der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, Gabriela Heinrich, dass die Bundesregierung ihre Haltung der kategorischen Ablehnung dieses Vertrages ablegt. Und zwar sofort! Oder haben die Kanzlerin und der Außenminister die Worte Barack Obamas nicht mehr im Gedächtnis, die dieser im Jahre 2009 in Prag vor der weltberühmten Burg ausrief: »Ich habe einen Traum von einer atomwaffenfreien Welt«? Damals stimmten Kanzlerin und ihr damaliger Außenminister, heute im höchsten Amt der Bundesrepublik, dem neuen US-Präsidenten vorbehaltlos zu und ließen es in Windeseile über alle Kanäle gut hörbar verkünden. Die Fraktionspolitikerin sollte Heiko Maas wie die gesamte Regierung damit nicht in Ruhe lassen, denn Friedenskampf ist der schönste Kampf auf Erden. Nicht der entrinnt der Vergangenheit, der sie vergisst, sondern diejenigen, die sie zu deuten wissen und notwendige Lehren aus ihr ziehen. Prof. Otto Hahn gilt mir da als ein Vorbild von vielen, als ein Deutscher mit klarem Verstand und Willen. Warum? Weil mich eine verbürgte Episode aus seinem Leben seit Jahrzehnten begleitet und mir nicht aus dem Kopf gehen will. Das soll sie auch nicht: Ende der 1950er Jahre tauchten bei dem Göttinger Wissenschaftler Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein lautstarker, damals verantwortungslose Parolen verbreitender Verteidigungsminister Franz Josef Strauß auf. Der Grund der Reise der beiden Spitzenleute aus Bonn nach Niedersachsen war so empörend für den betagten Atomphysiker, dass er deren Anliegen grob zurückwies. Erlaubten sich diese beiden Spitzenleute der Bundespolitik doch tatsächlich, zehn Jahre nach Faschismus und Zweitem Weltkrieg bei Hahn ernsthaft anzufragen, ob die Entwicklung von Atomwaffen für die neugegründete Bundeswehr möglich wäre. Unmöglich, lautete die kategorische Antwort des betagten Professors, der sogar um seine Fassung angesichts dieser Maßlosigkeit deutscher Politiker gerungen haben soll. Carl Friedrich von Weizsäcker, der junge Atomwissenschaftler und spätere Friedensforscher, älterer Bruder des vor Jahren verstorbenen Bundespräsidenten, war Augenzeuge geworden. Als er 1988 in Leipzig einen einwöchigen Arbeitsbesuch bei Wissenschaftlern der Karl-Marx-Universität Leipzig unternahm, erzählte er diese Begebenheit bei einem Abendessen im Hotel »Stadt Leipzig« einem seiner Gastgeber. Es sei auch für sein persönliches Leben ein für immer prägendes Erlebnis damals in Göttingen gewesen. Otto Hahn war danach in den fünfziger Jahren Erstunterzeichner des »Stockholmer Appells zur Ächtung der Atomwaffen«. Kanzlerin und Außenminister sollten umgehend diesen Appell lesen oder wieder lesen. Und noch eins sage ich dazu: Gabriela Heinrich steht auf der richtigen Seite, und sie ist in ideeller Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes wie auch der Weltbevölkerung.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 29.12.2020.