TV-Gebäude in Flammen
Auch in der 41. Nacht seit Beginn der Angriffe hat die NATO wieder zivile Ziele in Jugoslawien bombardiert. Laut Augenzeugen stand am Montag abend das Fernsehgebäude der nordserbischen Stadt Novi Sad nach einem Luftangriff in Flammen. Auch die Umgebung der Hauptstadt Belgrad wurde angegriffen. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Tanjug wurden Ziele in der Gegend Strazevica im Süden Belgrads und in der Region Batajnica im Nordwesten der Hauptstadt beschossen. Die jugoslawische Flugabwehr griff ein. Raketen schlugen auch in der Gegend des Dorfs Ladjevci bei Kraljevo ein. In der Nähe liegt ein Militärflugplatz. Auch in der Stadt Cacak ertönte Luftalarm.
Nach dem jüngsten Angriff auf wichtige Kraftwerke lagen Teile Belgrads in der Nacht zum Dienstag noch immer im Dunkeln, die Ampeln funktionierten nicht. Mehrere örtliche Kanäle konnten das staatliche Fernsehen jedoch wieder übertragen. Das Institut für Frühgeborene erklärte, das Leben von 70 Kindern sei wegen der Stromausfälle in Gefahr. Lebenserhaltende Geräte wie Inkubatoren könnten nur kurzzeitig über Generatoren mit Strom versorgt werden.
Der französische Präsident Jacques Chirac rühmte die Luftangriffe indes als »beispielhaft«. Der Konflikt um das Kosovo habe keine »höheren wirtschaftlichen oder strategischen Ziele, sondern ist allein begründet auf Moral und der Ehre der Nationen«, gab Chirac in einer im Fernsehen ausgestrahlten Rede vor. Chirac sagte weiter, er sehe keinen Anlaß, der Regierung in Belgrad zu vertrauen.
Unterdessen versucht die NATO offenbar, die Verantwortung für den Beschuß eines Busses am Montag zu leugnen. Der Pakt habe bislang keine Hinweise, daß Kampfflugzeuge der Allianz einen Bus bei Pec getroffen hätten, hieß es in Brüssel. Bei dem Angriff waren nach Angaben aus Belgrad am Montag 20 Menschen getötet und 43 verletzt worden, vor allem Frauen und Kinder. »Wir haben keinen Hinweis darauf, daß die NATO in diesen Vorfall verwickelt ist«, sagte ihr Sprecher Jamie Shea am Dienstag in Brüssel - wie stets mit einem Lächeln im Gesicht. NATO-Vertreter versuchten, die Zerstörung des Busses auf schwere Gefechte zwischen serbischen Streitkräften und der UCK zurückzuführen. Allerdings hatte auch die NATO in ersten Meldungen von einem Treffer mit einer Luft-Boden-Rakete gesprochen.
Shea zufolge hatten die NATO-Bomber im Kosovo neben strategischen Zielen auch gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie, Radar, Kommandoposten, Fliegerabwehr und Truppeneinheiten unter Beschuß (Foto: Volltreffer: Zweirad, vermutlich gepanzert - Novi Sad nach den jüngsten Terrorangriffen der NATO) genommen. Am frühen Dienstag morgen griffen NATO-Bomber zweimal die serbische Stadt Vranje in der Nähe der Grenze zu Mazedonien an, wie die amtliche jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug meldete. Explosionen wurden auch rund um Pristina gemeldet.
In Moskau empfing Ministerpräsident Jewgeni Primakow am Dienstag Bundesinnenminister Schily zu Gesprächen über das Kosovo. Dabei forderte Primakow erneut die Einstellung der NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien. Nach der Begegnung mit Schily erklärte Primakow, Rußland und die Vereinten Nationen seien in der Lage, ein Friedensabkommen zu erreichen. Der russsische Verteidigungsminister Igor Sergejew sagte, für den Frieden sei zwar eine bewaffnete Schutztruppe im Kosovo nötig, NATO-Staaten dürften allerdings nicht beteiligt sein.
Inzwischen mehren sich auch für die westlichen Staaten die Schwierigkeiten, die vor den NATO-Bombardements aus dem Kosovo Fliehenden unterzubringen. Italien und Großbritannien mußten sich zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge entschließen. Die Regierung in Rom kündigte an Dienstag an, sie wolle 10 000 Kosovo-Albaner ins Land lassen. Großbritannien will in den nächsten Wochen bis zu 3 000 Menschen die Einreise gestatten. Ab Dienstag sollten auch erstmals Kosovo-Flüchtlinge nach Australien, Kanada und in die USA ausgeflogen werden. Der mazedonische Botschafter in Deutschland forderte, der Westen müsse täglich so viele Flüchtlinge aufnehmen, wie neu in sein Land kämen. Insbesondere in den NATO-Staaten, die mit ihren Angriffen die Fluchtwelle ins Rollen brachten, stößt die Aufnahme von Kosovo-Albanern auf große Skepsis.
(AP/AFP/jW)
>> Waffen im Caritas-Hilfscontainer
UCK-Nachschub läuft über Italien. Behörden spielen Faktenherunter
Italien entwickelt sich zum Umschlagsplatz von Waffen, die für die »Kosovo-Befreiungsarmee« UCK in Jugoslawien bestimmt sind. In diesen Tagen hat die Polizei im Adriahafen Ancona Waffen entdeckt, die in einem Container der Caritas versteckt waren und die Reise zum albanischen Hafen Durres antreten sollten. Mit den massiven Hilfslieferungen, die die italienische Regierung für ihre »humanitäre« Initiative »Regenbogen« in Albanien organisiert, ist es den Waffenschmugglern ein Leichtes, Kalaschnikows oder Handgranaten unter Wolldecken zu verbergen. Die Entdeckung der Waffenlieferungen war besonders pikant, weil zum selben Zeitpunkt die italienische Innenministerin Rosa Russo Jervolino (Volkspartei PPI) in der am stärksten vom Krieg betroffenen Region Apulien weilte, um sich mit den Präfekten der Region und den Zollfahndern zu beraten sowie die Flüchtlingslager zu besichtigen. Die Nachricht von der Beschlagnahmung des Caritas- Containers kommentierte die Innenministerin aus der Regionalhauptstadt Bari: »Die Tatsache, daß ein Container mit Hilfslieferungen eine Ladung Waffen versteckte, ist schwerwiegend, aber sie ist keine Tatsache, die uns die Existenz eines Waffenhandels zwischen Italien und Albanien annehmen lassen kann.« In dasselbe Horn stieß auch Polizeichef Ernando Masone. Seine sehr wahrscheinliche Hypothese ist, daß die Waffen Albanien nur im Transit passieren und weiter in das Kriegsgebiet in den Kosovo gehen, denn »Waffen sind wirklich das einzige, was nicht in Albanien fehlt«.
Daß die in Ancona entdeckte Waffenlieferung kein Einzelfall ist, beweisen die Berichte, die zu Wochenbeginn in der italienischen Presse veröffentlicht wurden. Nach Angaben des »Corriere della Sera« wurde in der Nacht vom 8. zum 9. Februar im Hafen von Triest in einem Hilfskonvoi aus mehreren Lastwagen ein Lkw mit albanischem Kennzeichen festgehalten, der 30 Tonnen Waffen an Bord hatte. Dieser Wagen sollte sich bei Morgengrauen auf dem Motorschiff »Egizia« Richtung Durres einschiffen. Die Waffen - Gewehre aus den USA, ein chinesisches Maschinengewehr, eine Präzisionspistole aus der Schweiz, ein kroatischer Granatwerfer, 40 österreichische Gewehre mit Schallschutz, 32 000 Schuß Munition aus der Schweiz, 50 Soldatenhelme, zehn Patronentaschen und 90 Tarnuniformen aus Deutschland (alle Typus NATO) - steckten unter Stapeln von Altkleidung und Schuhen und waren mit aller Wahrscheinlichkeit für die UCK-Rebellen bestimmt. Der Lastwagen war im schweizerischen Luzern gestartet.
Die Routen in den Kosovo führen jetzt alle fast ausschließlich über Italien, wenn man den Spekulationen der italienischen Presse glauben darf. So kommen die Waffen am Hafen von Triest an, werden dort per Schiff über einen kroatischen Hafen nach Ancona gebracht, um von dort im albanischen Durres und schließlich über den Landweg im Kosovo zu landen. Die zweite Route nimmt ihren Ausgang in Bosnien; von dort geht die Lieferung über Kroatien nach Ancona und wieder nach Durres oder - wenn die Waffen aus Nordeuropa stammen - gelangen sie direkt in den italienischen Hafen Bari und schließlich wieder nach Durres.
Cyrus Salimi-Asl, Neapel
>> Anwälte Öcalans massiv behindert
Istanbul. Knapp einen Monat vor Beginn des Gerichtsverfahrens gegen Abdullah Öcalan haben die 17 Verteidiger des Chefs der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) damit gedroht, ihr Mandat niederzulegen. Wie türkische Zeitungen am Dienstag berichteten, sehen sich die Juristen durch Schikanen von Militär und Justiz an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert. »Ich habe das Gefühl, daß der Staat in dem Prozeß keine Verteidiger will«, erklärte einer der Verteidiger, Ahmet Zeki Okcuoglu. Die Anwälte hatten ihre Arbeit bereits einmal aus Angst um ihr Leben ausgesetzt.
Sieben Anwälte Öcalans waren nach eigenen Angaben nach einer Gerichtssitzung in der vergangenen Woche von Polizisten brutal zusammengeschlagen worden. Im April hatten Unbekannte in Istanbul bereits zwei weitere Verteidiger überfallen und verprügelt. Die Juristen beschwerten sich auch darüber, bei ihren Unterredungen mit Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali ständig von Soldaten überwacht zu werden.
Unterdessen äußerte sich das Anti-Folter-Komitee des Europarats »besorgt« über den psychischen Zustand Öcalans. Die Haftbedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Imrali, wo Öcalan der einzige Häftling ist, hätten »negative Auswirkungen« auf den PKK-Chef, heißt es in einem am Dienstag in Strasbourg veröffentlichten Brief des Komitees an die türkische Regierung. Öcalan sei praktisch vollständig von der Außenwelt abgeschirmt.
(AFP/AP/jW)
>> Prodi verspricht Transparenz in EU
Strasbourg. Der designierte Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, hat einen Tag vor seiner Wahl durch das Europaparlament eine grundlegende Reform der Brüsseler Behörde und die Beseitigung alter Mißstände versprochen. Er werde dafür sorgen, daß bestehende »Grauzonen« entfernt würden, betonte der Italiener am Dienstag vor dem Europaparlament. Die neue Kommission werde von Effizienz und Rechenschaftspflicht geprägt sein, versicherte der frühere italienische Regierungschef, der nach dem Rücktritt der durch Finanzskandale geschwächten EU- Kommission im März nominiert wurde.
Unter anderem kündigte Prodi eine Verbesserung der Teamarbeit innerhalb der Brüsseler Kommission, mehr Transparenz und eine klarere Aufgabenverteilung an. Auch solle die politische Verantwortung der einzelnden Kommissare gestärkt werden. Am Mittwoch soll das Europaparlament über Prodis Ernennung abstimmen.
Mehr aus: Ausland
-
Wieso haben die alle Handys?
vom 05.05.1999 -
Widerstreit der Gefühle in Israel
vom 05.05.1999 -
Kampf der Kulturen
vom 05.05.1999 -
Waffen im Caritas-Hilfscontainer
vom 05.05.1999