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Aus: Ausgabe vom 11.03.2008, Seite 13 / Feuilleton

Grossman 80

Vor fast 56 Jahren sprang der New Yorker Intellektuelle Victor Grossman in der Nähe von Linz in die Donau und schwamm auf die andere Seite– in die damals sowjetisch besetzte Zone Österreichs. In Bayern hatte er nach einem Studium in Harvard seinen Wehrdienst in der US Army fast abgeleistet, als ihn die Nachricht errreichte, daß er im Zuge der McCarthy-Hysterie große Schwierigkeiten bekommen würde, da er Mitglied der KP der USA war. Er ging in die DDR und wurde erst mal Wagonbauer. Später studierte er Journalistik in Leipzig und arbeitete anschließend für den German Democratic Report. In diesem Nachrichtenmagazin für die englischsprachige Welt fand sich zum Beispiel eine Weltkarte, übersät mit Hakenkreuzen – um jede Botschaft der BRD zu kennzeichnen, in der weiterhin alte Nazis tätig waren. Desweiteren sprach er Fernsehkommentare, wirkte im Radio Berlin International, kümmerte sich um das Erbe von Paul Robeson, des linken schwarzen Folksängers, Schauspielers und Ex-Footballstars aus den USA, schrieb und übersetzte Bücher und Beiträge für die Junge Welt– als unabhängiger Geist, der seinen Tag mit den Nachrichten von AFN, dem Radiosender der US-Streitkräfte in Europa begann. Der agitatorische Antiamerikanismus war ihm zu platt, trotzdem konnte er vierzig Jahre lang sein Land nicht betreten.

Als jüngst die Christel-Wegner-Affäre inszeniert wurde, nannte er ihr Verhalten »naiv«, wußte aber auch, daß eine Entschuldigung für sie nicht in Frage kam: »Man kann als Linker in den Bauch einer Schildkröte so tief kriechen, wie man will, und sich wegen der schlimmen Vergangenheit die Asche gleich kübelweise aufs Haupt schütten– die Feinde des Fortschritts werden niemals damit zufrieden sein, sie werden nie aufhören zu rufen: »Noch tiefer!«, »Noch mehr Asche!«


Victor Grossman wird heute achtzig Jahre alt. (jW)

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