Evakuierung des Oderbruchs befürchtet
Von jW/ddpADN/APNach dem dritten Dammbruch bei Hohenwutzen am Freitag morgen sind etwa 5000 Menschen aus 17 Ortschaften und mehreren Gehöften nordöstlich von Bad Freienwalde evakuiert worden. Am Deich war am frühen Morgen Erde auf etwa 45 Metern abgerutscht, zweieinhalb Stunden später lief Wasser durch den Deich.
Wegen eines weiteren drohenden Deichbruchs sind die Bewohner in sieben Orten des Landkreises Barnim am Freitag mittag vorsorglich aufgefordert worden, ihre Häuser zu verlassen.
In der Nacht zum Freitag beendete der Einsatzleiter des Technischen Hilfswerkes die Bemühungen, Ziltendorf vor der Flut zu retten. Von den abrückenden Bundeswehrsoldaten und Helfern alleingelassen, versuchten Einwohner des Dorfes unter der Leitung des Bürgermeisters Reiner Vierlink, mit einem Schaufelbagger genügend Sandsäcke herbeizukarren - vergeblich. Ziltendorf wurde ebenso überschwemmt wie am Freitag mittag die Ortschaft Wiesenau.
In einem dramatischen Appell über alle Brandenburger Rundfunksender hatte Innenminister Alwin Ziel (SPD) am Freitag morgen die 1486 Bewohner von Ziltendorf und 1280 Menschen in Wiesenau aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Es bestehe Lebensgefahr. Nach Angaben des Innenministeriums grassiert die Angst vor Plünderungen. Deshalb würden in dem Evakuierungsgebiet mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt zum Schutz der Häuser eingesetzt.
Wegen des anhaltenden Hochwassers kam die brandenburgische Landesregierung in Frankfurt zu einer Sondersitzung zusammen. Im Rathaus der Oderstadt beriet das Kabinett über Soforthilfen für die Betroffenen und ein Wiederaufbauprogramm. Anschließend machten sich die Kabinettsmitglieder vor Ort ein Bild von der Katastrophe.
Innenminister Ziel startete mit Vertretern aller Landtagsfraktionen zu einem Hubschrauberflug über die Oder. Die Oderdeiche zwischen Kienitz und Hohenwutzen besichtigte Verkehrsminister Meyer. Seine für Bildung zuständige Kollegin Peter besuchte Kinder eines evakuierten Kinderheims, die in einer Turnhalle in Wiesenau untergebracht worden sind.
Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) bezeichnete den Wiederaufbau des Überschwemmungsgebietes als »nationale Aufgabe.« Die Neue Osnabrücker Zeitung stieß in ihrer Ausgabe vom Freitag in dasselbe Horn: »Junge Soldaten aus allen Teilen des Bundesgebiets schuften bis zur Erschöpfung für Menschen, denen diese Armee von der DDR-Führung noch vor wenigen Jahren als Aggressionsinstrument des Klassenfeinds präsentiert wurde.«
Südlich von Frankfurt war es am Donnerstag abend zu einem zweiten Deichbruch gekommen. Nach Angaben des Kreis-Krisenstabes Oder-Spree, der Katastrophenalarm auslöste, ist der Damm bei Aurith geborsten. Wenige Kilometer nordwestlich davon, bei Brieskow-Finkenheerd, hatte es am Mittwoch den ersten Dammbruch an der Oder gegeben. Für mehrere Dörfer war daher die Evakuierung angeordnet worden.
Insgesamt müßten bei einer Überflutung des gesamten Oderbruchs rund 20000 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Die Evakuierungspläne liegen seit Tagen vor.
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