Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 21.06.2008, Seite 14 / Leserbriefe

Warum das konservative Europa auf Irland böse ist

Komplex

* Zu jW vom 17. Juni: »Auf ideologischem Glatteis«

Angesichts der grassierenden nationalen Hysterie, die bereits Fußballspiele zu erzeugen vermögen, dienen sie einer entfremdeten Gesellschaft als Religionsersatz, scheint in der Tat die Idee der Nation für jedes aufgeklärte (nicht nur linke) Bewußtsein total diskreditiert und T. Wagner im Recht, der mit vehementen Worten die Linke auf ideologischem Glatteis sieht, versuche sie, dieser Idee etwas Positives abzugewinnen. Dennoch sei davor gewarnt, auch theoretisch und historisch wieder einmal das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich möchte deshalb, in aller durch den Leserbriefanlaß gebotenen Kürze, einige Fakten in Erinnerung rufen, die aus mir unerfindlichen Gründen von Wagner nicht genannt werden.

1. Die Idee der Nation geht, wie durch solide Forschungen nachgewiesen (Burdach, Garber) auf den Beginn der Neuzeit zurück. Sie entwickelt sich im Zusammenhang mit der Bildung nationaler Staaten als der Form, in der sich die bürgerlichen Gesellschaft in ihrer ersten Phase konstituierte. Seit Dante wird die Idee der Nation in den Zusammenhang eines universalen Konzepts von Weltgesellschaft gestellt und ist mit den Postulaten des Friedens, der Gerechtigkeit, des Wohlstands, menschen- und völkerrechtlichen Forderungen verbunden. Mit der Französischen Revolution erhält diese Idee eine neue Qualität. Sie bleibt aber in dieser Phase immer im engsten Sinn mit den progressiven Ideen der Aufklärung verknüpft. Die regressiven, irrationalen, rassistischen und chauvinistischen Bestimmungen, die Wagner mit der Idee der Nation verbindet, bilden sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts heraus. Sie sind Teil der Zerstörung der bürgerlichen Vernunft und gehören zur Ideologiegeschichte der imperialistischen Gesellschaft.

2. Marx, Engels, Lenin haben sich sehr wohl und äußerst differenziert zum Problem der Nation geäußert, freilich nicht so sehr im Sinne einer abstrakten Begriffsbestimmung, sondern im konkreten Sinn von Fragen nationaler Befreiung kolonial unterdrückter Völker (sehr ausfühlich die Marx/Engelsschen Analysen zu Irland). Es sei erinnert, daß die II. Internationale 1896 eine Resolution annahm, in der das Selbstbestimmungsrecht der Nationen als Grundlage der Lösung der nationalen Frage zum Prinzip politischen Handelns gemacht wurde. Es ist geradezu absurd anzunehmen, daß die Delegierten des Londoner Kongresses nicht wußten, worüber sie redeten, als sie diese Resolution verabschiedeten.

3. Von grundlegender Bedeutung für diesen Zusammenhang ist die von Lenin ausgearbeitete Unterscheidung »zwischen dem Nationalismus einer unterdrückten Nation und dem Nationalismus einer unterdrückenden Nation« (LW 36, 593). In diesen Zusammenhang gehört auch die These von den zwei Kulturen in jeder »nationalen Kultur« (LW 20, 8f.). Keine marxistische Diskussion dieses Problems sollte hinter den Stand dieser Einsichten zurückgehen. 4. Es ist richtig, daß der Begriff der Nation ein komplexer, daher schwieriger Begriff ist, und es ist auch richtig, daß sein Gebrauch im internationalen marxistischen Diskurs der Gegenwart umstritten ist. Dies ließe sich aber von anderen Grundbegriffen marxistischen Denkens (so Ideologie) ebenso sagen. Es ist allerdings falsch zu behaupten, daß es keine genauen Bestimmungen des Begriffs der Nation gibt. Es gibt sie recht ausführlich in der DDR-Literatur, und es gibt sie im internationalen Schrifttum (z.B. Anthony D. Smith, National Identity. Harmondsworth 1991). Von einem Autor mit marxistischem Anspruch wäre eigentlich zu erwarten, daß er diesen theoretisch-historischen Stand zur Kenntnis nimmt, unabhängig davon, wie er sich zu ihm verhält.

Thomas Metscher, per E-Mail

Eindeutig

* Zu jW vom 14./15. Juni: »Irland–EU 1:0«

Jetzt sind also die Iren das einzige Volk in ganz Europa, das noch einen Ansatz von Demokratie besitzt. Während alle anderen Länder sich anscheinend der deutschen Politik angeschlossen haben, wo das Volk noch nie etwas zu sagen hatte, ja wo Demokratie sogar offiziell verboten ist, wodurch eine europaweite Volksabstimmung unmöglich ist, was natürlich der einzige Weg wäre, zu einer eindeutigen Entscheidung zu kommen. Demokratie heißt nun einmal, das Volk entscheidet und da die Iren das einzige Volk in Europa sind, die entscheiden durften, sollte ganz Europa diese Entscheidung übernehmen, falls der Gedanke an die Demokratie noch nicht ganz gestorben ist.

A. Tretter, per E-Mail

Stimmzettel-Kritik

* Zu jW vom 14./15. Juni: »Irland–EU 1:0«

Das Ergebnis verdeutlicht: Irland der einzige Staat der EU, der aktiv demokratisch ist. Alle Regierungen in den restlichen EU-Staaten fürchten sich vor dem Willen ihrer Völker. Dort herrscht nur eine Ja-und-Amen-Demokratie vor, d. h., die Regierung entmündigt ihre Bürger. Bekannt ist noch, daß die sogenannten freien Wahlen der »freien Welt« als Vorbild für den gesamten Globus hingestellt werden. Irland ist das seltene Beispiel, daß eine Wahl doch etwas bewirken kann. Dies ist der Grund, warum das konservative Europa auf dieses Land böse ist.

Durch Irland hat die europäische Demokratie eine starke Unterstützung erhalten. Das offizielle Europa sonnt sich längst im Unfehlbarkeitswahn. Andersdenkende, und – siehe Irland – anders Entscheidende werden als Gegner von Europas Zukunft verschrieen. Dabei ist das keltische Ergebnis der europäische Durchschnitt, wenn die Politiker keine grenzenlose Angst hätten, sich dem demokratischen Referendum zu stellen. Somit ist die vernichtende Stimmzettel-Kritik der Iren eine vernichtende Kritik an einem für Eu­ropa ungeeigneten EU-Konzept! Dafür Dank dir, Irland. (...)

Kurt Wolfgang Ringel, Braunschweig

Mißverständlich

* Zu jW vom 12. Juni: Leserbrief »Verwirrend«

Friedrich-Martin Balzer schreibt: »Die Berufung auf Art. 20 Abs. 4 GG ist wertlos. Hans Heinz Holz sollte dieser Irreführung nicht aufsitzen und dem Mißverständnis des Hans-Jürgen Krahl entgegentreten«. Das Mißverständnis liegt jedoch bei Hans Heinz Holz und Friedrich-Martin Balzer, denn Hans-Jürgen Krahl (SDS) berief sich in seiner Römerbergrede 1968 keineswegs auf das »normierte Widerstandsrecht« des Grundgesetzes, als er sagte: »Die Herrschenden wollen der Bevölkerung mit allen Mitteln einreden, unsere Aktionen seien Terror; um dies zu beweisen, schrecken sie auch vor offenen Lügen nicht zurück. Wir aber erwidern ihnen: Gewalt, das ist die Volksverhetzung der Bild-Zeitung. Gewalt, das ist die Vorbereitung der Notstandsdiktatur. Und dagegen nehmen wir das Recht des Geschlagenen in Anspruch, das elementare Recht auf Notwehr und Widerstand.«

Torsten Feltes, per E-Mail