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Aus: Ausgabe vom 14.12.2010, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft

Lesetip

Tarifbindung

Eines der gravierendsten Probleme der bundesdeutschen Gewerkschaften ist der Rückgang der Tarifbindung. Seit Anfang der 1990er Jahre sind die Zahl der Betriebe und die der Beschäftigten, die von Tarifverträgen erfaßt sind, rückläufig. Hinzu kommt eine »innere Erosion«, also eine nachlassende Verbindlichkeit der in den Verträgen gesetzten Normen. Zur Frage nach den Gründen dieser Entwicklung liefert das aktuelle Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) überraschende Erkenntnisse. Dessen Ergebnisse sind in einem Beitrag von Peter Ellguth und Susanne Kohaut für die Zeitschrift Industrielle Beziehungen zusammengefaßt. Die Zahlen des Panels zeigen, daß »in den letzten Jahren von einer massenhaften ›Flucht‹ aus dem Branchentarif keine Rede mehr sein kann«. Vielmehr finde ein »Austausch von Betrieben« statt: Zwar sind einerseits weitere Austritte zu konstatieren, andererseits treten aber auch neue Unternehmen in den Flächentarif ein.

Der Beitrag geht vor allem der Frage nach, aus welchen Gründen Unternehmen die Tarifbindung kappen. Wenig überraschend ist, daß der typische »Austrittsbetrieb« eher klein ist, über keinen Betriebsrat verfügt und seinen Mitarbeitern keine über das Tarifniveau hinausgehenden Leistungen gewährt. Eher unerwartet ist nach gängigen Erklärungsmustern hingegen, daß er einen vergleichsweise niedrigen Lohnanteil und eine positive Beschäftigungserwartung hat. Das konterkariert deutlich die üblicherweise in der öffentlichen Diskussion vorgebrachten Argumente: »Weder führen Klagen über zu hohe Lohnkosten noch eine hohe Lohnkostenbelastung oder andere Faktoren, die auf eine schlechte wirtschaftliche Lage hinweisen, zu einer höheren Austrittswahrscheinlichkeit. Auch für die vermeintliche Starrheit tarifvertraglicher Regelungen als Grund für einen Austritt finden sich keine Hinweise.«

Überraschendes Resultat der Untersuchung ist zudem ein nicht nachzuweisender Einfluß von Öffnungsklauseln, mit denen die Tarifnormen unterschritten werden können, auf die Wahrscheinlichkeit eines Verbandsaustritts. »Das paßt ins Bild der (…) Wandlung von Öffnungsklauseln in Richtung eines Instruments zur allgemeinen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit«, kommentieren Ellguth und Kohaut. Das Argument, wonach Öffnungsklauseln nötig seien, um die Unternehmer von Tarifflucht abzuhalten, hält der Realität demnach nicht stand – die Behauptung, mangelnde »Flexibilität« der Tarifnormen seien die Ursache ihrer Untergrabung, ebensowenig. (jW)

Industrielle Beziehungen– Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management. Jg. 17, Heft 4/2010, Hampp Verlag, Jahresabo (vier Ausgaben): 80 Euro

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