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WIGLAF DROSTE - SCHLACHTENBUMMLER

DDR: Je toter, desto mehr

Allwöchentlich, mit etwas Pech sogar täglich, darf man sich um die Ohren hauen lassen, was und wie und wer sie denn wirklich war, die DDR. Warum eigentlich? So interessant war das Land doch gar nicht. Wird aber, je länger es nicht mehr existiert, zum Fetisch am Kaffeetisch, zum Zankapfel für Rechthaber aller Art.

Eine »Erziehungsdiktatur« sei die DDR gewesen, sagt z.B. Joschi Lothringer, ein Berufsschullehrer aus Schwaben. Der Beamte hat sich für ein paar Jahre beurlauben lassen und in Kreuzberg eine Eigentumswohnung gekauft. Mit ein paar anderen Komikern gibt er eine Zeitung heraus, in der man so etwas lesen kann: »Die Ruinen des Sozialstaats legen uns ihre kalte Hand auf die Schulter.« Das soll den Ruinen erst mal einer nachmachen - bevor dann aus ihnen, den Ruinen, etwas aufersteht, das man »Erziehungsdiktatur« nennen kann, wenn einem gerade danach ist. Daß Lehrer wie Lothringer angesichts aufsässiger Schüler autoritäre Phantasien mit Uniform und ganz viel Diktatur entwickeln, vermag man sich vorzustellen. Nur: Was hat das mit der DDR zu tun? War sie das Lack- und Leder-Paradies?

Diese Theorie könnte schon bald der Spiegel verbreiten - in dem Gemenge aus frei flottierendem Unfug, das dort über die DDR weggedruckt wurde und wird, fiele sie immerhin nicht weiter auf. Nur mit Mord und Dotschlag habe der Laden 40 Jahre lang zusammengehalten werden können, erzählen die quicken Jungs aus dem Hause Augstein; schenkt man ihnen Glauben, steht plötzlich die DDR als NS- Nachfolgeregime da, während die Bundesrepublik als Bollwerk der Freiheit aufschimmert. Irgendwie kommt einem der kalte Kriegskäse bekannt vor; in den 70er und 80er Jahren noch machte sich der Spiegel regelmäßig über solch extrem primitive und fadenscheinige Propaganda lustig. Nun macht er sie selbst. Warum nur? Ist es so ein schönes Gefühl, den Kopf an der Garderobe abzugeben? Macht Doofheit reich? Oder glücklich? Ist das Land, in dem man lebt, so widerwärtig, daß man seinen Widerstand dagegen - den man als kritischer Journalist selbstredend leistet - stellvertretend an einem anderen Land abarbeitet, das es günstigerweise nicht mehr gibt? Fragen Sie Dr. küch. psych. Die Generalamnesie und Gehirnerweichung aber gilt für alle Deutschen - endlich mal etwas, das Ost und West verbindet, dürfen sich Wiedervereinigungsfreunde trösten. DDR-Regierungsmitglieder, in der Bundesrepublik jahrzehntelang als »Russenknechte!« attackiert, werden zu Haftstrafen verurteilt mit der Begründung, eben keine Sowjet-Satelliten, sondern souveräne Eigenschweine gewesen zu sein. Man nimmt sich's eben, wie man's braucht. Die Reaktion aus dem Osten des Landes ist allerdings auch nicht intelligenter: Er fühle sich durch die Verurteilung von Egon Krenz »als DDR-Bürger gedemütigt«, bekannte der PDS-Mann Michael Schumann in einer drittklassigen Berliner Talkshow. Kein Wort verlor er über den Kern der Sache: die juristische Selbstdemontage eines Systems, das sich »Rechtsstaat« ja immerhin nennt und an diesem Anspruch deshalb gemessen werden muß. Statt dessen gab's, wie bei der PDS üblich, Gefühl und Soße: »als DDR-Bürger gedemütigt«. Ich hab's schon mal gesagt: Es gibt nichts Peinlicheres als einen DDR-Bürger ohne DDR.

»Hätten Sie gerne in der DDR gelebt«, fragte mich dieser Tage ein finnischer Kollege. Ich stutzte, sah ihn eher leer an und fragte nach einer Pause zurück: »Und Sie?« Wieder gab es eine Pause. Und dann haben wir beide sehr gelacht. Warum und worüber aber genau, das wird, fürchte ich, kein Ostdeutscher jemals verstehen.

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