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Aus: Ausgabe vom 02.08.2011, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft

Lesetip: Entsendegesetz spielt Schlüsselrolle

Wie kann die Erosion des Tarifsystems gestoppt werden? Mit dieser Frage beschäftigen sich verschiedene Beiträge in der Sommerausgabe der Zeitschrift Mitbestimmung. In einem davon plädieren Reinhard Bispinck und Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für eine verstärkte Anwendung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Mit dem im Arbeitnehmer-Entsendegesetz vorgesehenen Instrument werden Einkommen – zumeist Mindestlöhne – über die tarifgebundenen Betriebe hinaus für eine gesamte Branche festgeschrieben. Einer Ausweitung dieser Möglichkeit kommt nach Ansicht der Autoren eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung der Tariflandschaft zu.

Zwar wurden in einigen Branchen zuletzt allgemeinverbindliche Löhne eingeführt – neben der Bauwirtschaft, wo es diese schon länger gibt, zum Beispiel in der Gebäudereinigung, im Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie in der Pflege. Dennoch ist die Zahl branchenweit geltender Tarifverträge zum einen rückläufig: Zwischen 1991 und 2010 sank diese von 622 auf 490. Damit sind lediglich 1,5 Prozent aller gültigen Tarifverträge allgemeinverbindlich. Zum anderen ist diese Quote im internationalen Vergleich extrem niedrig. So sind beispielsweise in den Niederlanden, in Finnland und Frankreich zwischen 70 und 90 Prozent der Branchentarifverträge auch für nicht tarifgebundene Betriebe verpflichtend.

Die WSI-Experten schlagen verschiedene Maßnahmen zur Reform des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vor. Erstens sollten nicht mehr nur Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklärt werden – was aktuell zumeist der Fall ist. Statt dessen sollten komplette Lohntabellen für alle Betriebe einer Branche gelten. Zweitens stellen Bispinck und Schulten die faktische Vetoposition der Unternehmerverbände im sogenannten Tarifausschuß, der der Allgemeinverbindlichkeit jeweils zustimmen muß, in Frage. Und drittens halten sie die Bedingung, wonach mindestens 50 Prozent der Beschäftigten einer Branche von dem für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag erfaßt sein müssen, für zu hoch. Das im Tarifvertragsgesetz geforderte »öffentliche Interesse« müsse künftig auch bei einem geringeren Anteil gelten. Neben der ebenfalls notwendigen Erhöhung gewerkschaftlicher Organisationsmacht könnten diese Gesetzesänderungen das Tarifsystem stabilisieren.


(jW)

Mitbestimmung. Das Magazin der Hans-Böckler-Stiftung. Nr. 7/8/2011, 74 Seiten, Jahresabo: 50 Euro

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