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Mordprozeß in Leipzig

Syrer erstochen - Staatsanwalt sieht keine Ausländerfeindlichkeit

»Gemeinschaftlich begangener Mord.« Das ist die Anklage gegen Daniel Z. und Norman E., die von der Staatsanwältin am gestrigen Montag im Leipziger Landgericht verlesen wurde. Die beiden jungen Männer - damals 18 und 20 Jahre alt - hatten am 23. Oktober des vergangenen Jahres das Gemüsegeschäft des Syrers Shahim im Süden Leipzigs betreten - offensichtlich nicht in der Absicht, etwas zu kaufen. Beide waren angetrunken, aber durchaus zurechnungsfähig. Sie beleidigten die Verkäuferinnen mit Pöbeleien wie »Türkenweiber« und »Alte Schlampen« und randalierten. Als der Syrer Achmed Bachir sie mit dem Hinweis auf den Ladenschluß zur Tür hinauskomplimentieren wollte, stach einer der beiden unvermittelt zu. Achmed Bachir starb eine halbe Stunde später am Tatort an der Herzverletzung. Die beiden Deutschen wurden unmittelbar nach der Tat festgenommen.

Gegen Norman E. liegt eine weitere Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung vor, die in diesem Verfahren mitverhandelt wird. Er wird beschuldigt, am 1. Oktober 1996 einen Mitschüler in seiner Berufsschule in Borna mit einem Würgegriff angegriffen zu haben, der im Judo unter dem Namen »Hadaka-Jime« bekannt und verboten ist, weil er die Blutzufuhr zum Gehirn durch Druck auf die Halsschlagadern kurzzeitig unterbricht und eine Ohnmacht hervorruft. Das Opfer erlitt einen Schlaganfall und trug bleibende Schäden davon.

Die Hauptverhandlung wird die Frage zu klären haben, welcher der beiden Angeklagten den Messerstoß gegen Achmed Bachir ausführte, denn der beschuldigte Norman E. bezichtigte bei den Vernehmungen den Mitangeklagten dieser Tat. Daniel Z. schweigt zu allem. Ebenso muß untersucht werden, ob das mildere Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt. Die weitaus größte Aufmerksamkeit wird jedoch dem Motiv der Bluttat zu widmen sein.

Trotz der eindeutigen Sachlage hat die anklagende Staatsanwaltschaft von vornherein betont, daß der Mord nicht als ausländerfeindlicher Angriff gewertet werden könne. So ist nicht damit zu rechnen, daß in dem Prozeß rassistische Motive der Täter überhaupt eine Rolle spielen werden. Leipziger Antifaschisten gehen davon aus, daß die Täter nicht in feste rechtsradikale Strukturen eingebunden sind, betonen aber, daß der Mord im Zusammenhang mit der Zunahme rechter Gewalt zu sehen ist. Das Leipziger Bündnis gegen Rechts setzt der Mär vom Heer »fehlgeleiteter Einzeltäter« die »Einbindung der Täter im organisierten Deutschtum, das keine festeren Strukturen braucht als den allgemeinen rassistischen Konsens«, entgegen.

Das Opfer Achmed Bachir war nach Deutschland gekommen, um hier Geld für seine Familie in Damaskus zu verdienen. Im Gemüseladen seines Freundes Shahim hatte er stundenweise ausgeholfen. Sollte seinen Mördern nicht ein organisatorischer Hintergrund nachgewiesen werden, wird auch dieser Fall keinen Eingang in die Statistik rechtsradikal motivierter Straftaten des Bundesinnenministeriums finden.

Die Angeklagten lehnten eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab, die Verhandlung wurde nach einer Viertelstunde geschlossen. Sie wird am kommenden Montag mit der Zeugenvernehmung fortgesetzt.

(jW)