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Aus: Ausgabe vom 15.09.2012, Seite 16 / Aktion

Mit der Zeit gehen

Handelt es sich bei Protestbewegungen, die noch Modetrends beeinflussen, aber Eigentumsverhältnisse nicht in Frage stellen, noch um Gegenkultur?
Von Dietmar Koschmieder
Occupy Documenta? Aktivisten vor dem Museum Fridericianum in Kas
Occupy Documenta? Aktivisten vor dem Museum Fridericianum in Kassel
Mainstreamkultur ist immer Kultur der Herrschenden und damit auch wichtiges Herrschaftsinstrument. Zu ihr in Widerspruch stehende kulturelle Bewegung und Ausdrucksform wird Gegenkultur genannt. Zwar ist damit oft eine systemkritische Haltung verbunden, wo diese aber nicht auf Dauer mit einer klassenbewußten Analyse und Strategie verbunden wird, verläuft sie im Sande, bleibt zahnlos oder wird gar in die Herrschaftskultur integriert. Vor einem Jahr entstand die Occupy-Bewegung, nach deren Selbstverständnis »soziale Ungleichheiten, Spekulationsgeschäfte von Banken und der Einfluß der Wirtschaft auf die Politik bekämpft werden sollen«, ohne Hierarchien oder Anführer (Wikipedia). Diese Woche wurde deren Camp im Frankfurter Bankenzentrum aufgelöst, die mittlerweile in die Kasseler Documenta integrierte Zeltstadt der Occupisten darf aber bleiben: Wo Gegenkultur stört, wird sie abgeräumt, wo sie vermarktbar ist, findet sie Eingang in Museen und Modetrends. Auch Medien, die sich ursprünglich als Teil einer Gegenkultur verstanden, sind heute integriert und übernehmen gelegentlich sogar besonders unappetitliche Aufgaben zur Vorbereitung nötiger Schwenks in der Herrschaftspolitik. So machte sich die Berliner taz schon früh für deutsche Militäreinsätze stark. Die zuletzt durchgeführten wurden noch von Hitler geleitet. »The Times, they are a-changin«, erkannte die taz und malte neben das Peace-Zeichen (alt) den Mercedes-Stern (neu): »Das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht. Auch in der taz zeigt Werbung und Fortschritt und Mobilität Wirkung. Und wenn Sie ökologische Argumente für Ihre Marke haben – umso besser. Gehen Sie mit der Zeit…« Das war 1995, als der Jugoslawien-Krieg und damit die erste offene deutsche Beteiligung an einem Angriffskrieg nach Hitler schon vorbereitet wurde.

Alternativkultur reicht auf Dauer nicht, wenn sie sich nicht zur Klassenkultur (und damit zur tatsächlichen Gegenkultur zu der der herrschenden Klasse) weiterentwickelt. Unsere eigene Kultur entwickeln, heißt aber auch, sich darauf zu besinnen, daß die Kultur der Arbeiterbewegung gerade in Deutschland nicht bei Null anfängt und sich seit Jahrzehnten nicht nur in Abgrenzung zur bürgerlichen Kultur definiert. Daß es noch heute eine Zeitung wie die junge Welt gibt, ist nur vor dem Hintergrund ihrer Gründungsgeschichte im ersten deutschen sozialistischen Staat erklärbar. Weil sich aber die junge Welt nicht integrieren läßt, erhält sie keine Förderung und Zuschüsse, sondern wird mit Prozessen und Verfassungsschutzberichten begleitet. Aushalten kann man das nur, wenn all jene, die auf eine eigene Kultur bestehen, diese auch finanzieren: Ihr Abo wird dringend gebraucht

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