Jugendliche Protestkultur
Zum jW-Relaunch »Operation Sputnik«
Vielleicht entsprechen die neuen, internettauglichen Schrifttypen ja einem Trend im Printlayout von Publikumszeitschriften wie schon bei der Melodie & Rhythmus. Mit seinem Verdikt »Hässlichkeit verkauft sich schlecht« (Buchtitel von 1958) hätte sich dann der US-amerikanische Produktdesigner Raymond Loewy gründlich geirrt - wenn der Trend wenigstens zu gestiegenen Blattverkaufszahlen führen würde. Das ist aber bekanntlich in der Branche nicht der Fall. Ästhetische Eleganz der Schriften war jedenfalls auch bei meiner jW in Papierform gestern, was das Lesevergnügen schon etwas trübt. Doch auch über ästhetische Geschmäcker lässt sich bekanntlich streiten.
Die größte anzunehmende Dummheit war allerdings, am jW-Logo herumzufummeln. Heraus kam, wie jeder mit Grausen sehen kann, ein überaus altfränkisches Aussehen à la UZ mit einer absonderlichen Hieroglyphe als stilisiertes »g«. Wie kongenial passte dagegen der alte, nach dem Vorbild der amerikanischen Flower-Power-Pop-Art gestaltete Titel mit seinen fast psychedelisch anmutenden Lettern zu einer weltweiten jugendlichen Protestkultur von Schülern, Studenten, Lehrlingen und Arbeitern, an die beim Neustart im Westen auch durch symbolische Zeichen angeknüpft werden sollte. Meinetwegen hätten die jW-Neugründer auch das heute noch etwas verschämt und recht klein im Impressum gezeigte Schriftlogo aus alten FDJ-Zentralratszeiten verwenden können.
Bürgerliche Blätter sind da traditionsbewusster. So bedient sich die großbourgeoise Frankfurter Allgemeine auch nach dem radikalen Relaunch vor Jahren im Titel selbstverständlich weiter der Frakturschrifttypen der alten Frankfurter Zeitung, obwohl diese mit dem liberalen Weimarer Traditionsblatt inhaltlich rein gar nichts mehr zu tun hat, wie der Marxist W. F. Haug mal in einer Polemik zum in der FAZ von rechts her befeuerten Historikerstreit darlegte.
Thomas Knauf-Lapatzki, Berlin