Verfall und Aufbau
Von Dietmar KoschmiederSeit Jahren schlagen sich Zeitungsmacher mit den sich rasant verändernden gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen für die Herstellung ihrer Produkte herum. Die verkauften Auflagen, aber auch die Erlöse aus dem Anzeigengeschäft, sinken weiter ungebremst. Da sich auf dem kapitalistischen Markt das eingesetzte Kapital ordentlich rentieren muss und die meisten Verleger deshalb vor allem satte Gewinne erzielen sollen, suchen sie verzweifelt nach Lösungen. Die einen entlassen festangestellte Redakteure, um kostengünstig Inhalte von freien Journalisten einzukaufen. Andere geben auf, nachdem Preiserhöhungen und dramatische Sparmaßnahmen dafür sorgten, dass sich ihre Zeitungen noch schlechter verkaufen ließen. Die einen konzentrieren sich auf die Möglichkeit, über Onlineaktivitäten wie Partnerschaftsvermittlung oder Tierfutterversand neue Gewinnquellen zu erschließen, während sie ihre journalistischen Produkte verkümmern lassen. Die anderen erklären kurzerhand den Journalismus zum Nischenprodukt und Journalismus in Deutschland zur Nische in der Nische: Der Springer-Konzern will weltweit führendes Medienunternehmen werden – und hat dabei vor allem den englisch- und spanischsprachigen Raum im Blick. Was juckt es die Männer an der Konzernspitze da, wenn alleine beim alten Flaggschiff Bild jährlich die verkaufte Printauflage um 220.000 Exemplare sinkt? Man bereitet sich schließlich auf Größeres vor.
Das geht schon seit Jahren so. Neu im Blickfeld ist allerdings, dass den Leserinnen und Lesern die schlechte Qualität der sogenannten Qualitätszeitungen immer bewusster wird. Denn guter bürgerlicher Journalismus ist mittlerweile nicht einfach in einer Krise – er wird gerade flächendeckend abgeschafft. Da den meisten Journalisten nicht klar ist, warum die Auflage ihrer Zeitung so dramatisch verfällt, kann ihnen auch nicht klar sein, weshalb es in breiten Teilen der Bevölkerung eine so starke Ablehnung ihrer Medien gibt. Medienverdrossenheit ist deshalb eines der Schlagwörter dieses Jahres.
Tatsächlich misstrauen immer mehr Menschen jenen Medien, denen sie jahrelang blind geglaubt haben. Weil sie erkennen, dass diese sich nicht für ihre Interessen einsetzen. Zwar haben bürgerliche Medien schon immer die der Kapitalseite vertreten. Solange sich aber der Kapitalismus auf einem aufsteigenden Ast befand, solange dessen Vertreter es sich leisten konnten (und mussten), über die Presse als angeblich vierte Gewalt im Staat Politik und Kapital zu kontrollieren, solange es eine Notwendigkeit gab, das Bild von einem vorgeblich besseren, weil demokratischeren Deutschland zu malen, hatte der bürgerliche Journalismus durchaus auch eine progressive Funktion. Mit dem Wegfall der sozialistischen Gegenmacht entfiel diese Funktion nicht nur, sie wurde geradezu lästig. Guter bürgerlicher Journalismus ist schon seit den 90er Jahren dabei, abzusterben. Und wie es Jahre dauerte, bis überteuerte Mieten und Brötchenpreise auch in Ostdeutschland Normalzustand wurden, wie es Jahre dauerte, bis die Treuhand die DDR abgewickelt hatte, brauchte es seine Zeit, bis der bürgerliche Journalismus zu dem kümmerlichen Rest verkam, den er heute darstellt.
Für die Tageszeitung junge Welt ist das eine große Chance (auch wenn man ansonsten diese Entwicklung mit Sorge betrachten muss). Denn sie ist mittlerweile auch für viele Bürger, die sich nicht als links verstehen, eine Entdeckung: Journalismus geht auch anders. Mit Unterstützung und Empfehlung ihrer Leserinnen und Leser gewinnt junge Welt als einzige überregionale Tageszeitung nicht nur bei den Online-, sondern auch den Printabos und beim Kioskverkauf hinzu. Der Slogan »Sie lügen wie gedruckt – wir drucken, wie sie lügen« macht neugierig. Mit ihm wird an eine Alltagserfahrung angeknüpft, die von bürgerlichen Kommentatoren gerne mit Medienverdrossenheit gleichgesetzt wird. Aber es geht nicht um Medien, sondern um deren Inhalte. Die schwäbische Hausfrau wundert sich, warum der jW-Bericht zu den Protestaktivitäten gegen »Stuttgart 21« näher dran ist als die Beiträge der Regionalzeitungen. Der Bochumer Autobauer ist erstaunt, warum die junge Welt die Schließung des Opelwerkes in den historischen Zusammenhang stellt, während die bürgerliche Wirtschaftspresse von Schicksal faselt. Für junge Welt sind NATO und Europäische Union keine Errungenschaften, sondern Unterdrückungsinstrumente und Kuba nicht Hort der Unfreiheit, sondern der Beleg dafür, dass es ohne Kapitallogik menschengerechter zugehen kann. Vor allem aber sind sehr viele Mediennutzer nicht bereit, sich über erkennbare Einseitigkeit in der Kriegsberichterstattung zur Kriegsbereitschaft aufstacheln zu lassen: Die Bevölkerungsmehrheit ist nach wie vor gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung.
Von diesem Glaubwürdigkeitsverlust vieler Medien wollen aber auch andere profitieren: Wenn Querfrontstrategen und rechte Kleinunternehmer wie Jürgen Elsässer oder Ken Jebsen »Mut zur Wahrheit« fordern, wenn rechte Rattenfänger der PEGIDA-Bewegung von Systempresse und Lügenpresse reden, meinen sie ebenfalls das Gros der bürgerlichen Medien. Auch sie knüpfen an die Erfahrung an, dass viele Menschen sich durch Medien belogen fühlen, dass Menschen anfangen, bestehende Verhältnisse und Darstellungen in Frage zu stellen. Aber sie stellen andere Fragen, geben andere Antworten als linke Medien, Wissenschaftler, Aktivisten, Politiker, Gewerkschaften. Vielleicht muss man das gute nationale Kapital gegen das böse ausländische verteidigen? Vielleicht rettet uns nur christlicher Glaube vor der islamischen Verrohung? Und wer vertritt heute überhaupt noch abendländische Werte? Vielleicht gibt es nicht links, nicht rechts, nicht oben, nicht unten, sondern nur deutsches Volk? Und wer schützt das vor dem Fremden? Vielleicht wäre Hitler ohne Krieg und Massenvernichtung gar nicht so schlecht, wie uns die Medien glauben machen wollen? Schon wieder gehen viel zu viele den rechten Rattenfängern und Heilsbringern auf den Leim.
Dabei haben diese die gleichen Aufgaben wie viele bürgerliche Medien, auch wenn sie sich gegenseitig bespucken: Ablenken von den tatsächlichen Zusammenhängen, vernebeln statt aufzuklären. Denn es reicht nicht mehr, ein bisschen Frieden einzufordern: Imperialismus bringt Kriege hervor, und wer diese verhindern will, muss deshalb die Eigentumsfrage klären. Dabei darf es nicht mehr nur um ein Stück Kuchen gehen, sondern um die ganze Bäckerei. Damit diese Erkenntnis zur materiellen Gewalt, also gesamtgesellschaftlich wirksam wird, bedarf es allerdings mehr als einer linken Tageszeitung. Es braucht linke, aufklärerische Kultur und Wissenschaft. Es braucht glaubwürdige und konsequente linke Organisationsstrukturen. Gerade weil die Partei Die Linke, aber auch manche Gewerkschaften dieses Feld nicht mehr aktiv besetzen, sondern offensichtlich dabei sind, es zu räumen, darf es nicht diversen rechten Kapitalismusapologeten und Dummschwätzern mit einem vorgeblichen Antikapitalismus von rechts überlassen werden. Das kommende Jahr, die kommenden Jahre werden entscheidend sein, einen rechten Durchbruch zu verhindern und linke Alternativen aufzubauen. Alle am gesellschaftlichen Fortschritt Interessierten haben dabei eine riesige Aufgabe und Verantwortung zu übernehmen. Und damit auch wir als Zeitungsmacher – aber auch Sie als Leserin und Leser dieser Zeitung.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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