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Aus: Ausgabe vom 02.05.2015, Seite 16 / Aktion

Querfront statt Klassenkampf

Wie der »Nationalbolschewist« Jürgen Elsässer und der Neurechte Publizist Götz Kubitschek das deutsche Volk retten wollen
Von Dietmar Koschmieder
Aktivist der ersten Stunden bei den Montagsmahnwachen: Jürgen El
Aktivist der ersten Stunden bei den Montagsmahnwachen: Jürgen Elsässer

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen, schrieben Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest, das 1848 erstmals in London erschien. Das habe sich seit 1989 geändert, glauben manche. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama versuchte Anfang der 90er Jahre, mit marxistischer Begrifflichkeit den Untergang nicht nur der sozialistischen Staatengemeinschaft zu beschreiben, sondern mit ihr gleich den Marxismus selbst zu entsorgen. Freiheits- und Menschenrechte der westlichen Wertegemeinschaft hätten sich für alle Zeiten gegen andere Bestrebungen durchgesetzt. Es ist bekannt, dass es dann doch ganz anders kam. Trotzdem fehlt es nicht an Theoretikern und Politikaktivisten, die zumindest an dem Gedanken festhalten wollen, daß Klassen und Klassenkämpfe Geschichte seien, zumindest aber nicht den von Marx beschriebenen Stellenwert hätten. Dazu benutzen auch sie gerne marxistische Phrasen, allerdings geht es diesmal darum, daß vor allem deutsche National- und Freiheitsrechte bedroht seien.

»Der gesamte Links-Rechts-Widerspruch hat ausgedient«, meint etwa der Politikaktivist und Chefredakteur einer rechten Postille, Jürgen Elsässer. Das sei »eine Begrifflichkeit aus der politischen Gesäßgeographie des letzten Jahrhunderts, das ist vorbei«. Und die habe nur Sinn gehabt bis zum Zusammenbruch des Ostblocks, im 19. und 20. Jahrhundert, da habe es diesen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit noch gegeben. Nach 1989 aber seien andere Zeiten angebrochen: »In dieser schicksalshaften Situation« dürften diese alten Kategorien keine Rolle mehr spielen.

Schicksalshafte Situation? Elsässer, der vor Jahren noch heftig bestritt, daß es ein deutsches Volk überhaupt gegeben habe, geht es diesmal um nichts Geringeres, als gerade dieses zu retten. »Pegida als Volksbewegung ist vielleicht die letzte Chance, die wir haben, um dieses Volk zu retten.« Die Bedrohung ist für Elsässer aber nicht nur die Islamisierung, die Pegida bekämpfen will: »Das deutsche Volk, die deutsche Nation, der deutsche Staat wird ja aus mehreren Richtungen bedroht.« Und dann nennt er vier Punkte: ungebremste Zuwanderung, finanzpolitische Erdrückung über das Eurosystem, Abschaffung der Familie (an anderer Stelle spricht er von Schwulisierung der Familie) über den Gendermainstreamwahnsinn, die amerikanische Besatzung.

Ein Prozent Zinsraffkes

Woher aber kommt nun diese Bedrohung? Das wiederum hat nach seiner Meinung sehr viel damit zu tun, weshalb die Klassenkategorien nach Marx heute einfach nichts mehr taugen: Die Welt teile sich nicht mehr auf in Kapital und Arbeit, sondern in 99 Prozent breite Masse – unter Einschluß der Arbeitenden und der anständigen Großunternehmen und des Mittelstands. Und in »ein Prozent internationales Finanzkapital, das global agiert, keine Vaterländer kennt und nur am Profit interessiert ist«. Das sei wie im Mittelalter – und da habe man ja auch nicht rechts und links gekannt, sondern damals gab es das Volk und ein Prozent internationale Adelsdynastien. Heute, also nach 1989, sei es wieder das Volk – und ein Prozent internationale Finanzdynastien, die ihr »Süppchen kochen, Strippen ziehen«. Sowohl »Arbeiter wie Unternehmen, arbeitendes Produktivkapital wie unternehmerisches Industriekapital wird (sic!) ausgesaugt und ausgepresst mit den Mitteln des Papiergeldimperialismus und des Zinses«. Bekanntes Muster: In Zeiten, in denen »schaffendes« durch »raffendes Kapital«, wie die Nazis das behaupteten, bedroht wird, müssen gute Unternehmer und Arbeiter zusammenstehen.

99 Prozent Volk

Natürlich weiß Elsässer auch, wie man dieser Bedrohung begegnen kann: »Meine Vision: Eine deutsche National- und Freiheits- und Souveränitätsbewegung!« Dazu müßte allerdings das Volk von einer unbewußten, einer »amorphen Masse« als Volk an sich zum Volk für sich erwachsen. Das werde allerdings durch die Massenmedien verhindert: Vor 20 Jahren habe es noch rechte und linke Medien und damit einen Meinungspluralismus gegeben. Heute existiere das nicht mehr. Nur noch die Lügenpresse, ein Begriff, der weder links noch rechts einzuordnen sei. Ein Beispiel gefällig? Die »Flüchtlingsströme« haben demnach nichts mit der Ausbeutung durch deutsche Konzerne in Afrika oder mit der EU-Politik zu tun: Verantwortlich macht Elsässer auch hier die Supermacht USA, weil »auf deutsch gesagt, die Amis stehen natürlich hinter den Flüchtlingsströmen, einerseits bomben sie in der dritten Welt alles zusammen, aber (…) die Flüchtlinge (…) sollen wir aufnehmen (…) Und kaum gehen wir dagegen auf die Straße, sind es die amerikanischen und israelischen Zeitungen, die schreiben, da sind wieder die deutschen Nazis.« Die deutschen Medien seien amerikanisiert, die Journalisten linke Lumpenintelligenzler, deren Arbeitsplätze von den Einwanderern ja nicht bedroht seien, weil die kein Deutsch könnten. Zudem würden die Journalisten nicht die Positionen des deutschen Volkes, sondern nur die von dem einen Prozent der Finanzdynastien vertreten. »Wenn wir in Deutschland eine Alternative aufbauen wollen, dann können wir nicht mit den amerikanisierten Medien zusammenarbeiten (…) Oppostion entsteht nicht durch Kungelei, sondern durch Arbeit aus dem Volk, für das Volk und durch das Volk.«

Wer aber ist nun dieses »Volk«? Und wie macht man es vom Volk an sich zum Volk für sich? Da ist sich Elsässer mit seinen Mitstreitern einig: Erstens muß beim Alltagsbewußtsein angesetzt werden.

»Wo die Leute die Abschaffung Deutschlands erleben, ist ja nicht im Euro-System, weil noch kommt der Euro über den Automaten, nicht über den Gendermainstream (…) auch die Amerikanisierung ist nicht so spürbar (…) die Massen an Flüchtlingen macht den Leuten angst.« Sie würden sehen, daß die zu zwei Dritteln aus muslimischen Ländern kommen. Von der Alltagserfahrung her sei es also erst mal richtig, das Islamthema in den Mittelpunkt zu stellen, es seien aber auch die anderen Bedrohungen zu behandeln. Zweitens aber gehe es wohl nicht ohne Querfront: Für eine Diskussion mit dem Neurechten Götz Kubitschek in Dresden stellt Elsässer Thesen auf, deren fünfte so lautet: »Es ist möglich, Pegida nach links zu öffnen. (Denn: Die Unterstützung an der Basis von Linken und SPD ist enorm). Es ist unmöglich, die Linke für Pegida zu öffnen. (Denn: Die linken Funktionäre sind Teil des Systems.) Generell: Die für eine Volksbewegung erforderliche Querfront ist nur von rechts nach links aufzubauen, nicht von links nach rechts.« Darin erkennt man Schlussfolgerungen aus den vergangenen zwölf Monaten, weil bisherige Ansätze, etwa mit den Montagsmahnwachen, aus diversen Gründen gescheitert sind.

Nur von rechts nach links

Elsässer steht mit dieser Position keineswegs allein auf weiter Flur. Nicht alle aber sind so offen und formulieren klar Absichten und Strategien wie er und sein Gesprächspartner Götz Kubitschek, der auf der Elsässer-Veranstaltung als Vertreter der neu-rechten Bewegung vorgestellt wurde.

Der forderte ebenfalls eine Querfront, die beide Flügel und die Mitte umschließt, verlangte allerdings als Voraussetzung, daß eine Entdämonisierung der Rechten durch die Linken erfolgen müsse. Er zitierte dann den rechtsradikalen Schweizer Publizisten Armin Mohler und ehemaligen Privatsekretär des Schriftstellers Ernst Jünger, der gesagt habe, in Deutschland wird erst dann etwas Neues entstehen, wenn die Zornigen von links und rechts zusammenkommen. Dieses Amalgam sei hochexplosiv. Und der Mangel an Intelligenz und Gespür des Establishments führe dazu, daß die Situation so auf die Spitze getrieben werde, dass es dazu kommen könne. Ein anderer Vertreter dieser Querfront ist der Publizist und einer der Hauptaktivisten der sogenannten Montagsmahnwachen, Ken Jebsen. Bis heute verbreitet er auf seiner Internetseite die Position: »Mir geht es um Reichweite. Ich will, das beide ›Lager‹ erkennen, dass sie extreme Schnittmengen haben. Um miteinander zu arbeiten, nicht gegeneinander, und diese überschüssige Energie positiv nutzen können.« Mit beiden Lagern meint er ausdrücklich linke Medien und Elsässers Postille. Die junge Welt jedenfalls hat keinerlei Interesse daran, an einer braunen Volksbewegung mitzuwirken.

Zitate in direkter und indirekter Rede stammen aus folgenden Beiträgen:
– Veranstaltung Elsässer / Kubitschek 16. April Dresden: https://www.youtube.com/watch?v=KRkbrKWHmDg
– Thesen Elsässers: https://juergenelsaesser.wordpress.com/2015/04/08/pegida-wie-weiter-comp...
– Vortrag Elsässer auf dem Wissenskongress 22. März Witten: https://juergenelsaesser.wordpress.com/page/2/
– Ken Jebsen über Elsässer: http://kenfm.de/blog/2014/04/29/klarstellung/

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