Kampfpresse junge Welt
Von Dietmar KoschmiederIn Ländern wie der Schweiz sind die Menschen besonders glücklich, lässt uns eine Studie wissen. Da seien die Fernsehprogramme langweilig, und deshalb lesen die Menschen mehr, lautet ein Erklärungsansatz. Deutschland schneidet in der Studie besonders schlecht ab, was aber wohl nicht daran liegt, dass Fernsehprogramme hier gut sind. Gelesen wird trotzdem immer weniger – zumindest verfallen die verkauften Auflagen der überregionalen Tageszeitungen seit Jahren. Und weil auch deren Ruf immer schlechter wird, trafen sich am 6. Mai 2015 in Frankfurt auf Einladung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung drei führende Journalisten und ein Medienwissenschaftler, um über die wachsende Kritik an den Medien zu debattieren. ZDF-Chefredakteur Peter Frey meinte, der Begriff »Lügenpresse« gehe nun mal gar nicht, weil dies ein Nazibegriff mit antisemitischen Untertönen sei. Der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach führt die Ursachen der Medienskepsis vor allem auf Unzulänglichkeiten der Mediennutzer selbst zurück: Allgemeine Verdrossenheit, mangelnde Informationsbereitschaft, Inkompetenz, Ereignisse beurteilen zu können, wachsende Unfähigkeit, Qualitätsmedien von anderen zu unterscheiden. FAZ-Mitherausgeber Werner D'Inka meinte, dass die Skepsis gegenüber den Medien schon immer dagewesen, sie aber jetzt, da jeder die Möglichkeit habe, eine Weltöffentlichkeit zu erreichen, deutlicher wahrnehmbar sei. Auch Medienkritiker Stefan Niggemeier machte den Medienwandel der vergangenen Jahre für die wachsende Unzufriedenheit verantwortlich, da man sich über das Internet aus vielen Quellen informieren könne, heißt es in einem Bericht von journal-frankfurt.de vom 7. Mai 2015.
Kernproblem ausgeblendet
Die Diskussion verlief – wie so oft – an der Oberfläche, über das Kernproblem wurde geschwiegen. Das liegt nicht bei neuen Medien, sondern hat mit der Geschäftsgrundlage der Medienhäuser zu tun: Ihre Aufgabe war und ist es, in erster Linie Renditen für die Eigentümer zu erwirtschaften. Und die wurden jahrzehntelang vor allem über hohe Werbeeinnahmen erzielt. Die verkaufte Auflage spielte insofern eine Rolle, als diese maßgeblich den Anzeigenpreis bestimmte. Und Auflagen wurden nicht immer durch besonders guten Journalismus oder clevere Marketingstrategien entwickelt – sondern nicht selten durch diverse Tricks. Es gab Zeiten, in denen Springers Die Welt deutlich mehr Bordexemplare in die verbreitete Auflage hinein rechnen ließ, als Flugpassagiere insgesamt den deutschen Luftraum kreuzten. Solche Manipulationen waren vor allem in Zeiten üblich, als die überregionalen Tageszeitungen und die Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender scheinbar die Wahrheit verkündeten: Gegen das, was dort gesprochen oder geschrieben wurde, konnte keine Bewegung, keine Gewerkschaft, keine linke Partei anstinken: Verbindliche Denkschablonen und Sprachnormen wurden in diesen Leitmedien gesetzt. Gravierend andere Gedanken konnten sich dagegen nicht behaupten.
Andere Welt
Das waren aber auch Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung schien, bürgerliche Ideologie unangefochten galt: Nur wenn es den Unternehmern gut gehe, gehe es auch den Beschäftigten gut. Wer Arbeit will, würde auch welche finden. Die Bundeswehr war zumindest offiziell eine reine Verteidigungsarmee und »Schule der Nation«. Löhne und Gehälter stiegen, die Rente galt als sicher, Vollbeschäftigung war zumindest politisches Ziel, und die anderen hatten Anspruch auf Arbeitslosengeld I und II. Zudem gab es auch in der BRD eine zweite Lohntüte: Dienstleistungen von Kommunen, Krankenkassen, Post und Bahn, Strom- und Wasserversorger (um nur einige Beispiele zu nennen) waren meist staatlich, richteten sich nach Bedarf und nicht nach Rendite, Gebühren wurden nicht nach dem Kostendeckungsprinzip kalkuliert.
Verfall der Glaubwürdigkeit
Änderungen gab es in der BRD schon in den 80er Jahren, zum vollen Durchbruch kamen die neoliberalen Ansätze aber nicht zufällig erst mit dem Wegfall der DDR und der sozialistischen Staatengemeinschaft. Bürgerliche Zeitungen waren nie ideologiefrei und unabhängig, haben schon immer die Positionen und Interessen der herrschenden Klasse eingenommen. Solange allerdings den Leserinnen und Lesern vorgegaukelt werden konnte, dass diese auch ihre seien, hatten die überregionalen Medien hohe Autorität und Glaubwürdigkeit. Heute fällt es immer schwerer, den Abbau sozialer und demokratischer Rechte, die Macht- und Kriegsgeilheit der herrschenden Eliten als Sachzwänge im Interesse aller zu verkaufen. Leserinnen und Leser erkennen, dass die Berichterstattung immer weniger mit der erlebten Realität zu tun hat. Das liegt zwar auch daran, dass es heute über neue Technologien und Kommunikationsmuster viel einfacher ist, an andere Informationen heranzukommen. Dieser Faktor beschleunigt den Verfall der Glaubwürdigkeit vieler Medien, ist jedoch nicht die eigentliche Ursache.
Kaputtsparen und verkaufen
Hinzu kommt, dass die Medienhäuser selber in den Strudel der ungebremsten neoliberalen Entwicklung hineingezogen werden: Wenn Profitmaximierung konsequent und überall zum entscheidenden Kriterium wird, führt das eben dazu, dass Entscheider in den Medienhäusern in Zeiten sinkender Einnahmen Kosten drosseln – und auch nicht davor zurückschrecken, das eigentliche Produkt kaputtzusparen. Zeitungen und Fernsehanstalten unterlaufen immer mehr handwerkliche Fehler – für Recherche und Lektorat stehen nur Restposten zur Verfügung. Defizitäre Zeitungstitel und Druckereien stehen zum Verkauf – und werden von politischen Parteien und ihren reichen Hauptakteuren (wie von Multimillionär Blocher in der Schweiz) oder gleich von den neuen Global Playern (Amazon übernimmt Washington Post) aufgekauft. Welche Auswirkungen dies auf die Blattlinie hat, braucht hier nicht näher beschrieben zu werden.
Entideologisierung?
Über solche Zusammenhänge debattieren die führenden Medienjournalisten des Landes nicht – zumindest nicht öffentlich. Statt dessen wurde es bei der Diskussion in Frankfurt als »Entideologisierung, die in den 90ern eingesetzt hat« verkauft, »dass eine Linken-Politikerin wie Sahra Wagenknecht ganze Seiten in der einstmals als erzkonservativ geltenden FAZ bekommt«. Grund für diese neue Bereitschaft, einer führenden Oppositionspolitikerin tatsächlich etwas Platz in der FAZ einzuräumen: Die Leser mögen keine Kampfpresse mehr! Wenigstens diese These wurde belegt: Auch dezidiert linke Zeitungen wie die junge Welt könnten keine signifikanten Auflagenzuwächse verzeichnen, so D'Inka.
Ob D'Inka das richtig einschätzt? Womöglich setzt die Kampfpresse junge Welt in einem Jahr im Einzelverkauf in den neuen Bundesländern mehr Zeitungen ab als die FAZ ...
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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