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Aus: Ausgabe vom 24.12.2015, Seite 3 / Schwerpunkt

Vergessen: Amer und andere

In den Berichten hierzulande wird der Eindruck erweckt, bei den Opfern des Syrien-Krieges handle es sich ausschließlich um Gegner von Präsident Baschar Al-Assad. Nennen wir den jungen Mann, der eines Tages in einem Vorort von Damaskus entführt wurde, Amer. Der damals 27jährige war Soldat der syrischen Armee und an einem Kontrollpunkt eingesetzt, als dieser von bewaffneten Gruppen überfallen wurde. Amer überlebte den Angriff, bei dem sechs Soldaten getötet wurden. Die Kämpfer verschleppten ihn als Geisel. Als sie merkten, dass Amer Christ ist – er hat ein Kreuz auf den Rücken tätowiert –, wurde er noch mehr misshandelt. Die Armee begann mit Verhandlungen, um ihn aus den Händen seiner Entführer zu befreien. Die Gespräche zogen sich hin. Da die Entführer ihre Forderungen immer mehr in die Höhe schraubten, drohte die Armee schließlich, das ganze Dorf, in dem Amer festgehalten wurde, anzugreifen, sollte der Soldat nicht freigelassen werden. Schließlich kam er im Zuge eines Gefangenenaustausches frei. Insgesamt 14 Tage war er in den Händen seiner Peiniger.

Amer selbst wollte in Damaskus nicht mit der Autorin darüber sprechen. Doch sein Bruder, nennen wir ihn Bassem, zeigte Fotos, die schwere Hämatome auf Rücken und Armen dokumentierten. Bassem erzählte auch, dass sein Bruder sich zunächst in medizinischer und dann in psychologischer Behandlung befunden habe. »Er ist durch die Entführung und die Misshandlung traumatisiert, will aber seinen Militärdienst fortsetzen«. Die Armee fand schließlich einen neuen Einsatzort für ihn, nicht an vorderster Front.

Wie nebenbei erzählte Bassem noch von einem Freund, der ebenfalls bei der Armee gedient hatte. Die beiden kannten sich schon aus der Schulzeit und seien sich »nah wie Brüder«. Als sein Freund eines Abends mit dem Auto in einen anderen Stadtteil fahren wollte und den Wagen startete, explodierte der. Jemand hätte an dem Pkw einen Sprengsatz angebracht, um seinen Freund zu töten, sagte Bassem. Der Freund habe überlebt, aber beide Beine verloren. Bassem blickte starr vor sich hin: »Ich besuche ihn jeden Tag im Krankenhaus. Wer weiß, was aus ihm wird!« (kl)

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