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Aus: Ausgabe vom 13.02.2016, Seite 11 / Feuilleton

Die Mutter der Dschihadistin.»La route d’Istanbul« (Panorama)

Von Kai Köhler

Elodie, eine 20jährige Belgierin, gibt ihre Mittelschichtsidylle auf, um in den heiligen Krieg zu ziehen, der in Syrien geführt wird. Die Beweggründe bleiben unklar, denn geschiedene Eltern und eine wenig einfühlsame Mutter haben auch andere. Was sie an Hinweisen zurücklässt, klärt die Sache nicht, und die wenigen Nachrichten an ihre Mutter zeigen eine fanatisierte, ganz in ihrem Wahn gefangene Kämpferin.

Es geht auch kaum um sie in »La route d’Istanbul«, sondern um ihre Mutter Elisabeth, die sich Elodies Verschwinden zunächst nicht erklären kann und erst allmählich begreift, dass sich die Tochter in eine islamistische Ideologie hineingesteigert hat. Regisseur Rachid Bouchareb zeigt weder Ursachen noch politische Hintergründe, nur die Auswirkungen auf eine Betroffene.

Elisabeth tritt aus ihrer gewohnten Umgebung heraus und tut etwas; ihr Handeln treibt den Film voran. Ein Problem ist das Fehlen einer Gegenaktion. Sie versucht, die Tochter per Handy zu erreichen. Wenn überhaupt, gibt es minimale Reaktionen. Als endlich per Skype ein Gespräch zustandekommt, vergisst Elisabeth schnell den Expertenrat, mit Dschihadisten nicht zu streiten, sondern an eine gemeinsame Vergangenheit zu erinnern; und sofort trennt die fremd anzusehende, verhüllte Gestalt, die einmal die Tochter war, die Verbindung.

Elodie verweigert die Auseinandersetzung, die Elisabeth will. Die Mutter reist in einen türkischen Grenzort, von dem aus Islamisten nach Syrien gehen; niemand will Elodie gesehen haben. Die Tochter ist – in dem wenigen, was man erfährt – fest überzeugt von ihrer Weltanschauung, so irrsinnig die auch ist. Die Mutter handelt aus Liebe und stößt überall ins Leere. Dadurch wird auch ihr Tun radikal. Bald will auch sie die Grenze überqueren, mit Handköfferchen in europäischer Kleidung, um irgendwo im Kriegsgebiet ihre Tochter zu finden. Sie ahnt noch nicht, dass ihre Niederlage komplett wird, als sie auf anderem Wege dieses Ziel erreicht.

Die Bilder zeigen ausführlich Orte, und mit ihnen soziale Verhältnisse. Es sind manchmal Machtverhältnisse und oft Verhältnisse der Fremdheit, in denen es sich zu orientieren gilt. Es ist ein Blick von unten, und dies macht seinen Wert aus wie seine Beschränktheit: Denn wie und in wessen Interesse der Dschihad gefördert wird, also die Ursache des Konflikts, das spielt keine Rolle.

»La Route d’Istanbul«, Regie: Rachid Bouchareb, Algerien/F/Belgien 2016, 97 min, 15.–17., 19., 21.2.

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