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Aus: Ausgabe vom 26.02.2016, Seite 11 / Feuilleton

Lauter Blips und Bleeps. Die neue Melodie und Rhythmus tanzt den Futurismus

Wer sich mit der Zukunft befasst, begibt sich nicht selten auf eine Reise in die Vergangenheit. Während es den namenlosen Zeitreisenden in H.G. Wells’ 1885 erschienenen Roman »Die Zeitmaschine« noch in die ganz ferne Zukunft verschlug, hinterlässt Dr. Who aus der gleichnamigen britischen Fernsehserie mit seinem äußerlich einer Telefonzelle nachgebildeten Transportmittel, der »TARDIS«, Spuren in verschiedenen Geschichtsepochen.

Mit dem Song »Doctorin’ the Tardis« erreichten Bill Drummond und Jimmy Cauty von The KLF als fiktive Band The Timelords im Heimatland des 1966 von der BBC gestarteten TV-Dauerbrenners sogar einen Nummer-eins-Hit.

Die Zukunft ist immer noch jetzt: Die neue Ausgabe der Zeitschrift Melodie und Rhythmus hat sich den »Futurismus« zum Schwerpunkt gewählt.

Während der italienische Komponist Francesco Balilla Pratella im Banne futuristischer Kunstauffassung in seinen zwischen 1910 und 1912 erschienenen Schriften die »Herrschaft der Maschine« herbeisehnte, suchte der russische Futurismus sein Heil nicht in einem von Großstadt und Industrie inspirierten Technikkult, sondern in »altslawischer Archaik«, wie Wolfgang Mende erläutert.

Aber ist Musik überhaupt geeignet, von der Zukunft zu künden? Maren Hansson hat die ernüchternde Antwort: »Die (Pop-)Musik, die sich Regisseure und Filmkomponisten für die Zukunft vorstellten, erweiterte die damals aktuelle Musikmode um einige elektronische Blips und Bleeps, Synthie-Flächen oder fremd erscheinende Dissonanzen«, lässt sie den Musiker und Journalisten Peer Göbel erklären. Und so wurde die Musik von Børns, der aktuellen Hoffnung der US-Popmusik, als »retrofuturistisches Gezische und Geknalle« bezeichnet. Gerd Bedszent erinnert daran, dass Science-fiction im Sozialismus mit der Vorstellung einer künftig gerechten Gesellschaftsordnung verbunden war.

Die Technikutopien, die gegenwärtig im Umfeld von Silicon-Valley-Konzernen wie Google, Facebook und Co. realisiert werden, haben sich hingegen weit vom humanistischen Ideal entfernt. Inspiriert von Science-fiction-Geschichten und den psychedelischen Hippieträumen der frühen Computerbastler, setzten Unternehmer auf die Überwindung von Armut, Hunger und Krieg durch »superintelligente Computer«. Das erinnert an die stählernen Utopien der Futuristen. Doch: »Keine Maschine wird uns von der Aufgabe entbinden, uns selbst von der Herrschaft des Kapitals zu befreien«, hält Buchautor und jW-Redakteur Thomas Wagner dem im Interview entgegen. (jW)

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