Menschlich bleiben
Von Michael SaagerMilitärdiktatur herrschte in Griechenland von 1967 bis 1974. Erst nach anhaltenden Unruhen in der Bevölkerung und internen Querelen zeichnete sich 1973 allmählich das Ende eines Regimes ab, das vor Folter, Vergewaltigung, Mord sowie der Internierung insbesondere linker politischer Gegner nicht zurückschreckte. Menschenrechte wie die (Meinungs-)Freiheit werden auch heute in autokratischen Systemen mit Füßen getreten, insofern ist der jüngste, in der Zeit der griechischen Militärdiktatur angesiedelte Roman des in Schweden lebenden Schriftstellers, Essayisten und Übersetzers Aris Fioretos von beklemmender Aktualität.
Der versierte Spurensucher griechisch-österreichischer Herkunft erzählt in »Mary« allerdings nicht vom großen politischen Ganzen. Er nennt Griechenland nicht einmal beim Namen – vermutlich um die universellen Merkmale von Gewaltherrschaft zu unterstreichen. Statt dessen verschreibt Fioretos sich ganz der Geschichte der Ich-Erzählerin Mary. Es ist die Passionsgeschichte einer 23jährigen Architekturstudentin, die im Zuge der Studentenproteste 1973 verhaftet wird, zunächst in den Folterkellern der Junta und schließlich gemeinsam mit anderen Frauen auf einer unwirtlichen Gefängnisinsel namens »Ratteninsel« landet, wo sie ein erschütternd überzeugend geschildertes karges und erniedrigendes Dasein fristet.
Damit nicht genug, Mary ist schwanger von einem der Studentenführer, wissen darf das aber niemand. So handelt dieser nüchtern und gleichzeitig einfühlsam geschriebene Roman einerseits von jenem Quäntchen Selbstbehauptung, Freiheit und Gefangenensolidarität, das einem unter den unmenschlichen Bedingungen einer Gewaltherrschaft bestenfalls bleibt. Andererseits geht es nicht nur um Mary, sondern auch um das im Bauch heranwachsende Kind und die damit einhergehenden physischen und psychischen Veränderungen der Protagonistin. Nicht zuletzt im Interesse des Kindes gilt es, menschlich zu bleiben. Schwer ist das und überaus konfliktreich.
Aris Fioretos: Mary. Carl Hanser Verlag, München 2016, 352 Seiten, 24 Euro
Aris Fioretos liest am 1.11. um 20 Uhr im Literaturhaus Berlin aus seinem Roman. Moderiert wird die Veranstaltung von Helmut Böttiger
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