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Aus: Ausgabe vom 07.11.2016, Seite 11 / Feuilleton

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Von Wiglaf Droste
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Das Reich des Gähnens betritt, wer sich Langweiligkeiten anhören muss

Das Reich des Gähnens betritt, wer sich Langweiligkeiten anhören muss, die ins Gewand der Lebensweisheiten gekleidet und als Ausdruck cooler Lebensconnaissance von sich gegeben werden. »Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken«, spricht es aus einem schmackernd süffelnden Ödling, der nicht Wein trinkt, sondern sich selbst inszeniert; lausige Liebhaberinnen und Liebhaber erkennt man todsicher an der Sentenz »Das Leben ist zu kurz für schlechten Sex«.

Selbstverständlich bin ich mit diesem kurzen Kommentar der allgemeinen Kommentarwut schon anheimgefallen, aber ich kommentiere weder notorisch noch automatisch, sondern ausnahmsweise und mit voller Absicht: die Geißel des Zwangskommentierens vom Erdball zu wischen; intelligente, gewitzte, treffende Kommentare selbstverständlich ausgenommen.

Das Leben ist nicht zu kurz für irgendetwas, außer vielleicht für das Kommentieren von allem und jedem. »Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles seine Bemerkungen«, wusste Heine, und auch Tchechow darf man getrost, bei Trost und trostreich folgen: »Der Kluge lernt, der Dummkopf erteilt gern Belehrungen.« Dass man als unerträglich wahrgenommene Verhältnisse und Verhaltensweisen mit einen harschen Fluch zum Teufel zu schicken versucht, gehört zur Hygiene; wie man aber auf seiner Homepage – ich habe nicht einmal eine – eine Kommentarfunktion einrichten kann, damit andere sich in den Rechner erbrechen oder liebedienerischen bis bedrohlichen Stalkerschleim ausgießen können, ist mir ein Rätsel.

Ist es Eitelkeit? Angst vor der Einsamkeit? Die hybride Wunschvorstellung, man sei zumindest theoretisch mit der ganzen Welt verbunden? Oder reine Selbstbefriedigung, die sich als »Kommunikation« tarnt und »Klicks« zählt, wobei die Qualität der Kommentare nichts, ihre Quantität aber alles ist? Glaubt denn tatsächlich jemand, der Kommentare im Netz liest und sie beispielsweise in der »Tagesschau« mit den Worten »User Bernd schreibt« zur Nachricht erhebt, er teile etwas über die soziale Verfasstheit einer Gesellschaft mit, indem er ihre asoziale Verfasstheit stumpf multipliziert?

Das Netz hat die Dummheit nicht erfunden, es beschleunigt nur den Vorgang, aus einem Schneeball eine Lawine zu machen. Schon der vollkommen netzfrei lebende Joachim Ringelnatz schrieb: »Es wechseln die Moden, / Aber der Hosenboden / sitzt sinngemäß / Immer unterm Gesäß.«

Das Leben ist zu kurz, um weise Worte zu kommentieren.

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