Augen auf beim Augenkauf
Von Wiglaf DrosteWenn man eine Lesebrille braucht, kann man sie an der Tankstelle (»Tanke«) kaufen, im Schreibwarenladen oder beim Optiker, der die Dioptrien vorher exakt bestimmt. Das kostet mehr, ist aber ratsam, weil das linke Auge oft anders undeutlich, getrübt oder verschwommen sieht als das rechte und umgekehrt, und das gilt nicht nur politisch. Nur eines sollte der Mensch, der klares und scharfes Sehen dem etwas lulligen Weichzeichnerbild auf die Welt und ihre Bewohner mutig vorzieht, besser nicht tun: eine Filiale der Brillenmassenhökerei Fielmann betreten, wo er sich kompetent von seiner Restwürde befreien lassen kann.
Wer allerdings Konfektioniertheit, die ja durchaus outrierte Züge tragen kann, Angepasstheitsvisagismus und routiniertes Schönheitsdesinteresse bei Kundschaft wie Personal für daseinsessentiell hält, ist als Fielmannequin so perfekt gecastet wie jemand, der sich im Fastfoodkettenhemd gut angezogen fühlt, im Internet findet, was er Liebe nennt, und deutschsprachiges Männchengeflenne von Tim Benzko bis Xavier Naidoo für Musik hält. Fielmann ist McDonald’s für die Augen.
Die Menschheit hat nichts zu verlieren als ihre Ketten; wenn ihre Mitglieder aufhören, Brillen beim fußgängerzonentoten Kettenkonzern zu erwerben, werden sie das sehen und erkennen können, und das sogar mit eigenen Augen.
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