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Aus: Ausgabe vom 09.05.2017, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Haut und Herz

Von Gisela Sonnenburg

Ob ehrlich oder nicht, wir haben alle nur die eine Haut. Sie völlig entblößt zu zeigen, die eigene oder die von anderen, ist in der Regel ein Affront, von manchen erwünscht, von anderen missbilligt. Für einige ein Geschäft. Auch in der Kunst. Der von den Nazis gehasste Maler George Grosz hatte in New York einen Lehrauftrag für Akt. Das hat ihm die Existenz gerettet. Dabei ging es ihm bei dem menschlichen, vor allem weiblichen Körper nicht um das Normalschöne. Da wabert das Fleisch zuhauf, legt sich in Dellen und Falten, und die Geschlechtsorgane sind mitunter so drastisch betont, dass der Akt eher wie eine Karikatur wirkt und nicht wie eine erotische Zeichnung. Die Galerie Deschler im Berliner Scheunenviertel zeigt derzeit unter dem Titel »Fleischeslust« mehr als ein Dutzend dieser Werke, zusammen mit Nacktheitsdarstellungen lebender Künstler. Rainer Fetting ist da mit »Angelika« vertreten, einer properen Miederschönheit, deren dunkelrotes Haupthaar der Blickfang ist. Eine Rückenansicht. Genau wie »Mädchen auf Stuhl« von Jörn Grothkopp. Ganz zart ist dieses Aquarell. Von der Wespentaille der Frau erkennt man nur die weiße Silhouette. Das Chinapapier, auf das sie gemalt ist, ist zerknittert. Die rot getupfte Decke unter ihrem Po ist verblasst. Aber hinter ihr scheint die schwarze Rückenlehne des Stuhls eine Umarmung zu erwarten. So ist das Herz oft mit im Spiel, wenn die Haut nackt zu sehen ist.

Bis 8. Juli in der Galerie Deschler, Auguststr. 61, Berlin-Mitte

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