Haut und Herz
Von Gisela SonnenburgOb ehrlich oder nicht, wir haben alle nur die eine Haut. Sie völlig entblößt zu zeigen, die eigene oder die von anderen, ist in der Regel ein Affront, von manchen erwünscht, von anderen missbilligt. Für einige ein Geschäft. Auch in der Kunst. Der von den Nazis gehasste Maler George Grosz hatte in New York einen Lehrauftrag für Akt. Das hat ihm die Existenz gerettet. Dabei ging es ihm bei dem menschlichen, vor allem weiblichen Körper nicht um das Normalschöne. Da wabert das Fleisch zuhauf, legt sich in Dellen und Falten, und die Geschlechtsorgane sind mitunter so drastisch betont, dass der Akt eher wie eine Karikatur wirkt und nicht wie eine erotische Zeichnung. Die Galerie Deschler im Berliner Scheunenviertel zeigt derzeit unter dem Titel »Fleischeslust« mehr als ein Dutzend dieser Werke, zusammen mit Nacktheitsdarstellungen lebender Künstler. Rainer Fetting ist da mit »Angelika« vertreten, einer properen Miederschönheit, deren dunkelrotes Haupthaar der Blickfang ist. Eine Rückenansicht. Genau wie »Mädchen auf Stuhl« von Jörn Grothkopp. Ganz zart ist dieses Aquarell. Von der Wespentaille der Frau erkennt man nur die weiße Silhouette. Das Chinapapier, auf das sie gemalt ist, ist zerknittert. Die rot getupfte Decke unter ihrem Po ist verblasst. Aber hinter ihr scheint die schwarze Rückenlehne des Stuhls eine Umarmung zu erwarten. So ist das Herz oft mit im Spiel, wenn die Haut nackt zu sehen ist.
Bis 8. Juli in der Galerie Deschler, Auguststr. 61, Berlin-Mitte
Mehr aus: Feuilleton
-
Die Krone der Schöpfung
vom 09.05.2017 -
Nachschlag: Die gute Seele
vom 09.05.2017 -
Vorschlag
vom 09.05.2017 -
»Love and Peace ist besser«
vom 09.05.2017 -
Der Spiegel zwischen uns
vom 09.05.2017 -
Lernen und annehmen
vom 09.05.2017 -
Aller Herren Knecht
vom 09.05.2017 -
Ab zum Frisör. Lehren aus der Zweistelligkeit
vom 09.05.2017