Soziologische Feinmalerei
Der Autor und Fotograf Michael Rutschky ist in der Nacht zum Sonntag im Alter von 74 Jahren in Berlin gestorben. Aufgewachsen als Sohn eines bei einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen angestellten Buchprüfers, studierte Rutschky unter anderem bei Adorno und promovierte 1978 im Fachbereich Germanistik der FU Berlin. Über die folgenden Jahre als Redakteur der Zeitschriften Merkur (1979/80) und Transatlantik (1980/81) schrieb er später: »Die Angestelltenexistenz bietet keine Traumerfüllung.« Als freier Autor wurde Rutschky 1985 Redakteur und später auch Mitherausgeber der Vierteljahreszeitschrift Der Alltag. Die Sensationen des Gewöhnlichen. Das 1997 eingestellte Magazin begründete mit Essays, Rollenprosa und Interviews zu vermeintlichen Banalitäten ein Feuilleton jenseits der Leitartikel, lange bevor Zeitungen die Alltagsrubrik zum eigenständigen Ressort erhoben. Für seine »soziologische Feinmalerei« in Büchern wie »Erfahrungshunger. Ein Essay über die siebziger Jahre« (1980) oder »Unterwegs im Beitrittsgebiet« (1994) erhielt Rutschky 1997 den Heinrich-Mann-Preis. In der Laudatio wurde hervorgehoben, dass er die »Pathosformeln und Imponiergesten« des deutschen Literaturbetriebs konsequent hintertreibe. Zuletzt schrieb er »Das Merkbuch« (2012), in dem er die spärlichen Terminkalendernotizen des dienstreisenden Buchprüfervaters aus den Jahren 1951–1973 kommentiert. Rutschkys langjährige Ehefrau, die Publizistin Katharina Rutschky (»Schwarze Pädagogik«), war 2010 mit 68 Jahren gestorben. (dpa/jW)
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