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Aus: Ausgabe vom 23.03.2019, Seite 12 / Thema
Diplomatie

»Wir arbeiten nicht mit Ultimaten«

Der Botschafter Russlands in Deutschland, Sergej J. Netschajew, im Gespräch mit junge Welt-Chefredakteur Stefan Huth. Über den Stand der bilateralen Beziehungen, Moskaus außenpolitische Grundsätze und die Gefahren eines neuen Wettrüstens
Von Interview: Stefan Huth
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»Wir drohen niemandem, und Angst haben wir auch nicht«. – Sergej J. Netschajew während des jW-Interviews in der russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin

Seit Januar 2018 sind Sie Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik. Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis zu Deutschland und den Deutschen beschreiben?

Ich fühle mich mit Deutschland nicht zuletzt durch die vielen Jahre meines diplomatischen Dienstes hier verbunden. Die deutsche Kultur, vor allem Literatur und Musik, ist mir sehr vertraut. Ich liebe Goethe, Schiller und Heine, auch Erich Maria Remarque oder Heinrich Böll. Es gibt starke Interdependenzen zwischen der deutschen Literatur und der russischen, sehr alte kulturelle Bindungen. Ich glaube, dass Russen und Deutsche einander im Geiste nahestehen.

Dieses Gefühl wird durch den beispiellosen Weg der historischen Aussöhnung bestärkt, den unsere Völker nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgelegt haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein gutes Verhältnis zwischen Russland und Deutschland nicht nur den Menschen in unseren Ländern zugute kommt, sondern auch für Frieden und Prosperität des gesamten europäischen Kontinents enorm wichtig ist.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau sind derzeit alles andere als konfliktfrei. Gab es seit Ihrem Dienstbeginn Bereiche, in denen eine Entspannung eingetreten ist, eine erneute Annäherung beider Länder stattgefunden hat?

Sie haben recht, unsere bilateralen Beziehungen kannten schon bessere Zeiten. Nichtsdestotrotz bemühen wir uns darum, eine positive Agenda voranzubringen und die Zusammenarbeit in den Bereichen auszubauen, wo es zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist. Das betrifft insbesondere gemeinsame Wirtschaftsprojekte, kulturelle, humanitäre und wissenschaftliche Kooperation sowie den Jugendaustausch. Es haben sich beispielsweise bilaterale Themenjahre gut bewährt. Das erfolgreiche deutsch-russische Jahr der regionalen und kommunalen Partnerschaften wurde Ende 2018 durch das deutsch-russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft abgelöst. Es soll dem Wissenschafts- und Hochschulaustausch zwischen beiden Ländern neue Impulse geben.

Anfang Januar wurde in der Berliner Philharmonie Tschaikowskis Oper »Jolanthe« vom Chor und dem Orchester des Mariinski-Theaters St. Petersburg unter der Leitung von Waleri Gergijew aufgeführt. Damit wurde zugleich die »Russische Saison« in Deutschland eröffnet – eine Veranstaltungsreihe, die dem deutschen Publikum die russische Kultur näherbringen soll. Mit Erfolg werden zivilgesellschaftliche Diskussionsforen wie der Petersburger Dialog und die Potsdamer Begegnungen durchgeführt. All das trägt zur Festigung der Brücken zwischen unseren Ländern bei.

Wie würden Sie die derzeitigen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen charakterisieren?

Die wirtschaftlichen Beziehungen sind das Rückgrat der deutsch-russischen Zusammenarbeit. Nach einer Phase der Schwächung, die infolge der bekannten internationalen Entwicklungen eintrat, nehmen sie wieder Fahrt auf. 2018 wurde das gegenseitige Handelsvolumen mit über 60 Milliarden Euro beziffert. Für den Zuwachs sorgten sowohl die deutschen Exporte nach Russland als auch die deutschen Importe aus Russland. Zwar sind die Gesamtzahlen vom Rekordhoch von 80 Milliarden Euro im Jahr 2012 noch immer weit entfernt. Ich bin mir aber sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Wir stellen einen bedeutenden Beitrag der deutschen Unternehmer zum Ausbau der gegenseitig vorteilhaften Wirtschaftskooperation fest. In Russland sind rund 5.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung aktiv. Die akkumulierten deutschen Investitionen in Russland lagen 2017 bei 18 Milliarden US-Dollar. Im ersten Dreivierteljahr 2018 überstiegen die Direktinvestitionen in die russische Wirtschaft zwei Milliarden Euro. In Deutschland sind zirka 1.500 Unternehmen mit russischer Beteiligung tätig. Die gesamten russischen Direktinvestitionen in Deutschland betragen etwa 3,2 Milliarden Euro.

In unseren Ländern wird eine Reihe von wichtigen gemeinsamen Projekten umgesetzt. Ein Zeichen setzt der Bau der Gasleitung »Nord Stream 2«. Wir registrieren, dass die deutsche Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft prinzipiell zu einer erfolgreichen Vollendung dieses wirtschaftlichen Projekts stehen, das den Interessen der Energiesicherheit Europas dient.

Ein großes Potential sehen wir in der Entwicklung der Zusammenarbeit im Bereich der innovativen Technologien und Digitalisierung. Wir gehen davon aus, dass die Wettbewerbsvorteile unserer Länder auf diesem Gebiet einander gut ergänzen.

Viele Jahre hindurch war von einer »strategischen Partnerschaft« zwischen Berlin und Moskau die Rede. Auf welchen Gebieten existiert diese weiterhin, wodurch wird sie gefährdet?

Der Begriff »strategische Partnerschaft« ist nicht auf unsere Initiative hin außer Gebrauch gekommen. Dies geschah aufgrund der Wiedervereinigung der Krim mit Russland und der innerukrainischen Krise, in der der Westen eine antirussische Position bezogen hat. Unter diesem Vorwand wurden bedauerlicherweise viele aussichtsreiche bilaterale Projekte auf Eis gelegt. Wie gesagt, wir blicken dennoch optimistisch in die Zukunft und setzen es uns zum Ziel, unser Zusammenwirken in allen Bereichen wiederzubeleben.

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg wurde unter anderem durch die umfassende Wiederaufnahme der Aktivitäten der deutsch-russischen Hohen Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik im November 2018 getan. Allerdings: Von der Wiederherstellung einer wahren strategischen Partnerschaft sind wir noch weit entfernt. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist ein Paradigmenwechsel in der Politik der westlichen Länder, die auf die »Eindämmung« der angeblichen russischen Aggression abgestellt ist.

Moskau hat sich seit 2007 immer wieder für die Erneuerung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa stark gemacht. Spätestens seit den politischen Zuspitzungen in der Ukraine war das kein Thema mehr. Markiert dieser Konflikt eine Wende in den internationalen Beziehungen, einen Punkt, an dem die russische Staatsführung sich entschied, der westlichen Aggressionspolitik Grenzen zu setzen?

Aus meiner Sicht begann die Wende hin zu einer Konfrontationspolitik gegenüber Russland bereits lange vor dem Staatsstreich in Kiew. Als Anfang der 2000er Jahre der osteuropäische geopolitische Raum durch die US-geführte NATO weitgehend erschlossen war, erkannte man plötzlich, dass es dort nichts mehr zu tun gab. Es gab keine realen Bedrohungen, und bei der Terrorismusbekämpfung erwies sich das Bündnis als nutzlos. Als Überbleibsel des Kalten Krieges, das ursprünglich als Instrument der amerikanischen Kontrolle über Europa während der militärpolitischen Konfrontation mit der Sowjetunion geschaffen worden war, begann die Allianz fieberhaft nach dem Sinn der eigenen Existenz in der gegenwärtigen Welt zu suchen. Ohne ihn gefunden zu haben, kam die NATO auf das zurück, was sie einzig kann: immer wieder die Konfrontation suchen.

In logischer Konsequenz gipfelte diese Entwicklung 2014 in der Krise in der Ukraine. Der Westen entschied sich dafür, einen kriminellen bewaffneten Staatsstreich zu unterstützen. Dies brachte der einst wohlhabendsten und fortschrittlichsten Sowjetrepublik Ruin und Bürgerkrieg. Man kann stundenlang über den Wert der Minsker Vereinbarungen debattieren. Doch es gibt zu ihnen keine Alternative. Es sei daran erinnert, dass Vertragsparteien nicht Russland, Deutschland und Frankreich sind, sondern ­Kiew und die Republiken Donezk und Lugansk. Diese als Separatisten zu bezeichnen ist genauso absurd, wie von Russland die Erfüllung des Minsker Maßnahmenpakets zu fordern. Der Ball liegt nun bei Kiew, das zynischerweise und für alle erkennbar die Verpflichtungen nicht erfüllt, die sein Vertreter qua Unterschrift akzeptiert hat. Jeder Krieg endet mit einem Frieden. Das bedarf keines Beweises. Die Frage ist, wie viele Menschenleben der Weg hin zu diesem Frieden fordern wird. Der Friede wird aber in der Ukraine erst einkehren, wenn die Regierung in Kiew direkte Gespräche mit den eigenen Bürgern im Osten des Landes aufnimmt. Bislang zeigt sie sich nicht gewillt, dies zu tun.

Im Westen wird häufig davon gesprochen, die Krim sei völkerrechtswidrig annektiert worden. Ein Gewaltakt, der mit Boykott- und anderen Maßnahmen gekontert werden müsse, um Moskau international zu isolieren. Was entgegnen Sie auf diesen Vorwurf?

Wie gesagt: Die territoriale Integrität der ­Ukraine wurde durch den illegitimen, bewaffneten, kriminellen Staatsstreich in Kiew im Februar 2014 verletzt. Vor fünf Jahren putschten sich mit Hilfe des Westens radikale nationalistische Kräfte an die Macht. Überall waren neonazistische Parolen zu hören, die ehemaligen Helfershelfer der Nazis Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch wurden bekanntlich wie Helden verehrt. Gleichzeitig kam es immer wieder zu Drohungen gegen die russische Minderheit im Land, bezeichnender Weise vor allem gegen die Bevölkerung der Krim. Das Referendum, das am 16. März 2014 über den Status der Halbinsel abgehalten wurde, war eine absolut legitime Form der Willensbekundung in Zeiten des Fehlens einer legitimen Macht in der ­Ukraine und der Verletzung der Verfassung und des Völkerrechts. Es entspricht allen völkerrechtlichen Grundsätzen, im übrigen auch der KSZE-Schlussakte von 1975. Denn angesichts der genannten nationalistischen und chauvinistischen Tendenzen in bezug auf den Status der Minderheiten ist es absolut legitim, dass ein Referendum zur Sezession eines staatlichen Territoriums führt.

Wie wird die Rückkehr der Krim von Staaten außerhalb der westlichen Bündnissysteme bewertet?

Die Frage des Selbstbestimmungsrechts ist international akzeptiert. Es gibt weltweit viele Fälle, in denen Referenden zur Sezession geführt haben, etwa im Kosovo – in diesem Fall sogar ohne eine Abstimmung. Dort gab es keinen Volksentscheid, lediglich das selbsternannte Parlament hat diese Sezession verkündet. Und trotzdem wurde das von den westlichen Mächten und von vielen anderen, nicht von allen, als ein Akt der Selbstbestimmung akzeptiert. 2013 gab es ein Referendum auf den Falklandinseln bzw. Malwinen, um die sich Großbritannien und Argentinien immer noch streiten. Dort ging das Referendum zugunsten Großbritanniens aus, das dort noch heute einen Militärstützpunkt unterhält. Niemand hat dieses Votum in Frage gestellt.

Auf der Krim lag das Ergebnis zugunsten einer Rückkehr zu Russland bei 95 Prozent. Es gab rund 150 internationale Wahlbeobachter, die die Korrektheit der Abstimmung bestätigt haben. Es gab keine Konfrontation, keine einzige Provokation, keinen Waffengebrauch, es fiel kein Schuss, nichts.

In den deutschen Medien war immerzu die Rede von den »grünen Männchen«, russischen Soldaten, die im Moskauer Auftrag auf der Krim agierten.

Die Unterhaltung unseres Militärstützpunkts dort war absolut legitim, er existierte entsprechend der bilateralen Regierungsabkommen zur Teilung der Schwarzmeerflotte. Es gab sogar eine eindeutig festgelegte Zahl von Militärangehörigen, die sich im Rahmen dieses Abkommens auf der Krim aufhielten, und wir haben diese Begrenzung nie überschritten. Außerdem war in diesem Vertrag fixiert, dass sich das Militärpersonal auf der Halbinsel frei bewegen durfte. In den Wahlprozess haben sich die russischen Soldaten zu keiner Zeit an irgendeiner Stelle eingemischt.

Einige Fragen des Grenzregimes scheinen weiterhin ungeklärt zu sein, wie der Vorfall am Zugang zum Asowschen Meer vom November vergangenen Jahres zeigt. Damals wurde ukrainischen Marinebooten die Durchfahrt verweigert. Gibt es da aktuelle Entwicklungen?

Das Ganze war eine Inszenierung, denn die Passage internationaler Schiffe durch die Straße von Kertsch ist klar geregelt. Die russische Seite hat immer entsprechende Begleitung angeboten, wovon ukrainische Schiffe mehrfach Gebrauch gemacht haben, zuletzt im September, also zwei Monate vor dieser Provokation. Die zielte vor allem darauf ab, dass ein weiterer Konflikt entstehen sollte. Das hätte vor den Präsidentschaftswahlen zusätzliche Punkte gebracht.

Die Konflikte auf globaler Ebene eskalieren unterdessen auf beunruhigende Weise. Washington hatte Moskau zunächst ein Ultimatum gestellt und Anfang Februar dann tatsächlich den INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen aufgekündigt. Inzwischen steht sogar das gesamte System der atomaren Rüstungskontrolle zur Disposition. Für wie glaubwürdig halten Sie die offizielle Begründung der US-Regierung für diesen Schritt?

Es macht keinen Sinn, mit uns in der Sprache von Ultimaten zu reden. Das gehört auch nicht zu unseren Methoden. Wir drohen niemandem, und Angst haben wir auch nicht. Die Werte, zu denen wir uns bekennen, umfassen auch den der Souveränität. Was den INF-Vertrag betrifft, so sind wir es, die in erster Linie daran interessiert sind, ihn zu erhalten. Lange Jahre hindurch versuchten wir die Amerikaner dazu zu bringen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, ihre Vorwürfe zu konkretisieren und uns endlich zu erklären, was ihre Bedenken sind. Daraufhin schlug man uns vor, selbst zu bestimmen, woran wir schuld seien, und Buße zu tun.

Bedauerlicherweise hatte man in Washington schon längst darauf hingearbeitet, das gegenwärtige Gefüge der Sicherheit und Rüstungskontrolle zu zerstören. Die »erste Schwalbe« war der Ausstieg der USA aus dem Raketenabwehrvertrag, sowie aus dem JCPOA (dem Atomabkommen mit dem Iran, jW). Der CTBT-Vertrag (über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, jW) wurde in den USA auf Eis gelegt. Es wird in Aussicht gestellt, Atomwaffentests wiederaufzunehmen und Waffen im Weltraum zu stationieren. Nun ist der INF-Vertrag an der Reihe. Der Welt ihre wahren Absichten offenzulegen, sind die USA nicht gewillt. Dafür erfanden sie einen Vorwand: Russland sei schuld. Weshalb unsere europäischen Partner Washington hierbei blindlings folgen, kann ich Ihnen nicht sagen.

Wir sind offen für einen ehrlichen und gleichberechtigten Dialog über den INF-Vertrag. Im Verteidigungsministerium gab es ein Briefing, bei dem wir alle von den USA angefragten Informationen vorlegten, einschließlich Charakteristika und technischer Daten des Raketentyps, der bei den USA Sorgen auslöst. Vertreter der NATO-Mitgliedsländer verweigerten sich kollektiv unserer Einladung. Nun heißt es, das alles sei nicht überzeugend gewesen. Da drängt sich schon die Frage auf: Wie könnt ihr darüber urteilen, wenn ihr gar nicht dagewesen seid?

Den Amerikanern schlugen wir vor, die in Frage stehende Rakete in ihrem Beisein zu testen. Die Antwort war »nein«, auch das werde sie nicht überzeugen. Russland müsse bloß all das vernichten, was nach ihrer Meinung gegen den Vertrag verstößt. Über unsere Bedenken wollen die amerikanischen Kollegen ausdrücklich nicht sprechen. Das ist unseriös.

Wir erleben derzeit weltweit eine Erosion des Völkerrechts, verantwortlich dafür sind vor allem die NATO-Staaten. Nun wirft die westliche Seite der Russischen Föderation vor, dass sie mit ihrem militärischen Engagement in Syrien selbst gegen das Völkerrecht verstoße.

Syrien fiel einer weiteren von außen organisierten »Farbenrevolution« zum Opfer, die mit einem blutigen Konflikt in diesem Land eine folgerichtige Fortsetzung fand. Russland hat es mit der legitimen Regierung in Damaskus zu tun, die – das möchte ich explizit betonen – Mitglied bei den Vereinten Nationen ist, was von niemandem in Abrede gestellt wird. Nicht an uns liegt es, darüber zu entscheiden, wer Syriens Präsident werden soll, sondern an den Syrern. Wir sind jedoch bereit, sie bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu unterstützen. Das ist auch so geschehen. Doch über das weitere Schicksal ihres Landes müssen die Syrer selbst entscheiden.

Die Regierung Venezuelas ist gegenwärtig Ziel internationaler Attacken. Es sieht so aus, als ob der Westen im Begriff ist, dort einen Regime-Change einzuleiten, also eine weitere unliebsame Staatsführung auf illegalem Weg zu beseitigen. Wie beurteilen Sie diese Politik gegenüber Maduro?

Die Lage in Venezuela fügt sich aus unserer Sicht in die Reihe der Entwicklungen in der Ukraine, Syrien und einigen weiteren Teilen der Welt ein. Unser Grundsatz lautet Nichteinmischung. Es liegt nicht an Russland zu entscheiden, welchen Weg das eine oder das andere Land einzuschlagen hat, wer es regieren soll und wie seine Machtgremien zustande kommen sollen. Über die Legitimität der Regierung zu entscheiden, ist Sache der Menschen im jeweiligen Land und nicht die von Moskau, Washington, Brüssel oder Strasbourg. Im übrigen ist Nicolás Maduro der rechtmäßige Präsident Venezuelas, er wurde im Mai 2018 in seinem Amt bestätigt. Dass der Bürgerkonflikt in dem Land künstlich angestachelt wird, um dort mit Gewalt ein den USA gegenüber loyales Regime zu installieren, führt zu nichts. Welche Zwecke Washington mit diesem Kurs verfolgt, ist klar. Warum die Europäer ihn unterstützen, ist eine Frage an die Europäer.

Am 1. September vor 80 Jahren wurde der Zweite Weltkrieg durch Nazideutschland entfesselt, am 9. Mai 2020 wird in Moskau zum 75. Mal der Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus begangen. Welchen Stellenwert haben diese historischen Daten heute in Russland? Wie wird die Erinnerung an den Krieg wachgehalten?

Das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg – so wird bei uns der Krieg genannt, der mit dem Überfall Nazideutschlands auf die UdSSR am 22. Juni 1941 begann – ist unseren Menschen heilig. Die Sowjetunion leistete einen entscheidenden Beitrag zur Rettung der Welt vor der braunen Pest und brachte dafür immense Opfer. 27 Millionen Bürger des Landes verloren ihr Leben. Fast jede Familie hatte den Tod eines Angehörigen zu beklagen. Sicher ist es für die junge Generation schwieriger, sich vorzustellen, welche Herausforderungen ihre Urgroßväter damals zu meistern hatten. Gerade deshalb gehört das Thema Zweiter Weltkrieg zu den wichtigsten im Geschichtsunterricht an russischen Schulen. Jugendliche nehmen aktiv an Veranstaltungen teil, die anlässlich der Gedenktage stattfinden. Auch Suchaktionen finden verstärkt statt. Ihnen ist es zu verdanken, dass man Erkenntnisse über Biographien von Tausenden vermissten Rotarmisten gewinnen konnte. Der »Große Sieg« bleibt ein wichtiger Teil unserer nationalen Identität. Nichts und niemand ist vergessen.

S. E. Sergej J. Netschajew

wurde 1953 in Moskau geboren. Er studierte dort an der staatlichen Lomonossow-Universität. Seit 1977 im diplomatischen Dienst, besuchte er die Diplomatische Akademie des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, die er 1988 absolvierte. Von 1977 bis 1980 war er als Mitarbeiter der Botschaft der UdSSR in der DDR tätig, es folgten Stationen in der Mongolei und in der Bundesrepublik. Im Jahr 2010 übernahm er das Amt des Botschafters der Russischen Föderation in der Republik Österreich, das er bis 2015 ausübte.

Am 10. Januar 2018 wurde Ne­tschajew von Präsident Wladimir Putin zum Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland ernannt

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