Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 11.11.2019, Seite 3 / Schwerpunkt
Libanon

Hintergrund: Konfessionalismus

In ihrer geänderten Fassung vom September 1990 schreibt die libanesische Verfassung die Abschaffung des politischen Konfessionalismus als eines der »grundlegenden nationalen Ziele« fest. Artikel 95 sieht hierzu die Schaffung eines Nationalen Komitees vor, dem der Staatspräsident vorsitzen und dem neben dem Premierminister und dem Parlamentspräsidenten die »führenden politischen, intellektuellen und sozialen Persönlichkeiten« angehören sollen. Aber auch 30 Jahre nach dem Abkommen von Taif ist es nicht gelungen, das Proporzsystem abzuschaffen, das dem Land zwar politische und gesellschaftliche Pluralität und die politische Repräsentation aller Religionsgemeinschaften verschafft hat, zugleich aber auch für die immer stärkere Abgrenzung der Konfessionen, unfreiwillige Identitätszuschreibungen, Klientelismus und das Vorherrschen von Partikularinteressen in der Politik verantwortlich ist. Sogar die Möglichkeit, die Religionszugehörigkeit auf Wunsch aus Identitätsdokumenten streichen zu lassen, wurde trotz der berüchtigten Ausweismorde im 15jährigen Bürgerkrieg erst 20 Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens von Taif eingeführt.

Das bereits 1864 im Libanon-Gebirge auf europäischen Druck eingeführte, 1926 in der Verfassung verankerte, 1943 im Nationalpakt bestätigte und 1989 in Taif lediglich reformierte konfessionalistische System steht im Widerspruch zu anderen Teilen der libanesischen Verfassung. Deren Artikel sieben sichert allen libanesischen Bürgern die gleichen zivilen, sozialen und politischen Rechte zu, Artikel zwölf legt fest, dass öffentliche Ämter ausschließlich nach dem Kriterium Qualifikation vergeben werden dürfen. Die faktische Vergabe von Posten von den höchsten Staatsämtern über die Sitze im Parlament bis hin zu Jobs im öffentlichen Dienst, in Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft nach konfessionellen Kriterien konterkariert diesen Grundsatz, ist konflikteskalierend und verhindert die Stärkung einer gemeinsamen nationalen Identität und eine Orientierung am Gemeinwohl.

Im Libanon sind zudem viele Bildungseinrichtungen, Zeitungen und Fernsehsender sowie soziale Dienste in der Hand von Konfessionen oder deren Parteien. Eine formale Abschaffung des politischen Konfessionalismus müsste darum flankiert werden von Projekten zur Überwindung des mentalen Konfessionalismus. Überkonfessionelle Aktivitäten, Schulen oder Medien müssten finanziell und rechtlich gegenüber intrakonfessionellen bevorzugt und das Trauma des Bürgerkriegs endlich aufgearbeitet werden. (wd)

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