Ein Ärgernis
Es ist aber auch ein Ärgernis mit den üblichen Shitstorms und Aufregerwellen. Im Coronasommerloch dauern sie nicht nur länger als üblich, sondern ändern auch gelegentlich die Richtung. Beispiel Lisa Eckhart. Die Österreicherin macht mit einer zynisch-aristokratischen Kunstfigur etwas, das sie wohl als kritisches Kabarett versteht, außerhalb ihres Heimatlandes aber hauptsächlich von rechten Schmunzelfürsten wie Dieter Nuhr goutiert wird. 2018 hielt sie es für eine gute Idee, in einem deutschen Nachtprogramm mit einem Judenwitz einfache Punkte zu sammeln, was zunächst niemanden empörte, weil das Spiel mit dem Antisemitismus hierzulande ausweislich des entsprechenden Bundesbeauftragten angeblich zuvörderst auf der Linken statthat, aber ja nicht in der »Mitte«. Doch das Internet vergisst nicht, weshalb Eckhart im Mai dieses Jahres doch noch ihre Prügel im Onlinezirkus bezog. Dann war Ruhe. Bis vorige Woche die Veranstalter des Hamburger Harbour-Front-Literaturfestivals meinten, die Nachwuchsschriftstellerin Eckhart (»Omama«) vom Wettlesen um den weniger renommierten als gut dotierten Klaus-Michael-Kühne-Preis (10.000 Euro) ausladen zu müssen. Der Veranstaltungsort »Nochtspeicher« hatte gewarnt, der »Schwarze Block« könne das Event bei Eckharts Teilnahme »sprengen«, und dem Festival vorsorglich abgesagt.
Die perfekte Vorlage für die konservativen Meinungsführer, den Spieß umzudrehen und einmal mehr das Recht auf den Judenwitz gegen den »Linksfaschismus« zu verteidigen. Ein Verleger sah »Weimarer Verhältnisse«, Nuhr die blitzenden Mistgabeln der Antifa, und die Medienkolumnisten von FAZ bis Cicero verteidigten inbrünstig die Meinungs- und Kunstfreiheit, welche ihnen bekanntlich heilig ist, solange man keine schlechten Witze auf Kosten der Polizei macht. Nun wird allerorten wieder über die linke »Cancle Culture« geschimpft, die unliebsame Andersdenkende ausradieren wolle. Die Existenz entsprechend stumpf- bis blödsinniger Strömungen wird niemand in Abrede stellen, der je »Cultural appropriation« (dt.: kulturelle Aneignung) gegoogelt hat. Doch war der Anlass schlecht gewählt. Nicht einmal konkrete Drohungen waren eingegangen, wie der »Nochtspeicher« auf seine Website richtigstellte, aber »besorgte Warnungen aus der Nachbarschaft«. Weil es mal bei einer Lesung des Kolumnisten Harald Martenstein vor vier Jahren Stunk gegeben hatte, sei man »sicher« gewesen, mit Übergriffen rechnen zu müssen. Also all die Aufregung wegen einer Angstprojektion?
Aber Hoffnung ist in Sicht: Man wolle sicherstellen, dass Eckhart trotz alledem am Wettbewerb teilnehmen kann, versicherte das Harbour-Front-Festival. Ob sie den Preis nun bekommt, oder nicht: Verloren hat sie jetzt schon, nämlich den Status einer scheinbar überparteilichen Stänkerin gegen liberalen Selbstbetrug. Dafür hat sie nun gute Chancen, das neue It-Girl der Springer-Rechten zu werden. So sie denn will. (pm)
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