Hintergrund: Geopolitik
In seinem Buch »Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft« schrieb der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident James »Jimmy« Carter, Zbigniew Brzezinski, wie Washington seine dominante Rolle in der Welt halten könne und auf welche Regionen es achten müsse. Hierfür sei es nötig, den eurasischen Kontinent zu dominieren, weil dieser besonders »produktiv« sei und den Großteil der Weltbevölkerung beherberge. Seine Kontrolle würde Brzezinski zufolge fast automatisch die Kontrolle Afrikas nach sich ziehen. Die Türkei nehme in diesem Rahmen eine wichtige Rolle ein, da sie ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt sei, als südlicher NATO-Ankerstaat fungiere und Russland Paroli bieten könne.
Tatsächlich grenzt die Türkei geographisch an verschiedene Weltregionen: im Süden an die mehrheitlich arabischen Staaten Syrien und Irak und im Osten an den Iran, was sie zu einem entscheidenden Akteur im sogenannten Nahen Osten macht. Aserbaidschan im Kaukasus und weitere zentralasiatische Staaten sind mehrheitlich turksprachig. Mit dem »Türkischen Rat«, der 2009 gegründet wurde, versucht Ankara eine Art »Liga der Turkvölker« zu etablieren. Das so umspannte Gebiet reicht bis an die Grenzen Chinas, könnte potentiell aber auch die Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang einschließen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sprach in der Vergangenheit gar von Ostturkestan.
Im Norden teilt sich Ankara das Schwarze Meer unter anderem mit Russland. Die Bosporus-Meerenge ist der einzige Zugang Moskaus zu den »warmen Gewässern« des Mittelmeers. Der Zugang von Nichtanrainerkriegsschiffen zum Beispiel der USA in das Schwarze Meer wird durch den Vertrag von Montreux 1936 eingeschränkt. Dieser bezieht sich jedoch nur auf den Bosporus. Seit 2011 ist daher das Projekt »Kanal Istanbul« geplant, das eine künstliche Wasserstraße schaffen soll, für die die Zusagen von Montreux nicht gelten würden. Russland sieht diesen Schritt mit Sorge.
Auf dem Balkan stellt sich die Türkei als Schutzmacht der Muslime (Albaner und Bosniaken) dar und ist neben USA, EU und Russland ein weiterer Akteur. Zwar besitzt die Türkei in Albanien eine Militärbasis, doch die Muslime auf dem Balkan haben im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen weniger Einfluss. Dort setzt die Türkei vor allem auf kulturelle Projekte. Zu diesen gehören auch türkische Fernsehserien, die, teilweise als versteckter Geschichtsunterricht getarnt, ins Ausland exportiert werden. Ankara ist nach Washington der zweitgrößte Serienexporteur der Welt, schrieb die britische Zeitung Guardian im September 2019.
(es)
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