Einkaufen mit Mama
Von Frank SchäferWenn meine Mutter einkaufen ging, sprach sie plattdeutsch mit den Bekannten, die sie traf. Sie hatte unheimlich viel Zeit. Einmal redete sie so lange mit einer Freundin, dass ich in eine Art Trance fiel. Ein angenehmes Kribbeln auf der Kopfhaut, mein Geist tauchte in warmem Wasser, ich schwebte. Ich ging danach öfter mit in freudiger Erwartung, aber das Prickel-Pit-Gefühl wiederholte sich nie.
Während des Studiums saß ich in der Seminarbibliothek und recherchierte für eine Fontane-Hausarbeit. Ein paar Tische entfernt saß eine ältere Dame, sie las in einem Folianten und aß dabei Apfelspalten aus einer Tupperbox. Da überfiel mich erneut diese sanfte, lauwarme Besoffenheit. Als sei mein Verstand in Watte gepolstert.
Schließlich sah ich mit meinem kleinen Jungen auf Kika das »Baumhaus«. Wenn Singa ganz lieb mit den Kindern spricht, bin ich plötzlich wieder beim Einkaufen mit Mama. Es funktioniert nur bei Singa. Aber ich kann es jetzt reproduzieren, ständig, immer wieder. Es nutzt sich nie ab. Es ist wie Drogen nehmen ohne Drogen. Ein großes Glück.
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