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Aus: Ausgabe vom 14.03.2022, Seite 10 / Feuilleton
Kulturpolitik

Kein Bekenntnis

Der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) hat sich dagegen ausgesprochen, wegen des Angriffs auf die Ukraine russischen Künstlern die Engagements zu entziehen. Es dürfe in Deutschland keine »Gesinnungsprüfungen« von Künstlern und Wissenschaftlern geben, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats der Welt am Sonntag. Es sei auch falsch, ein Bekenntnis gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu fordern, so der Philosophieprofessor mit Blick auf den Fall des Dirigenten Waleri Gergijew. »Wohin das führen kann, sehen wir doch an der Geschichte der USA mit der McCarthy-Ära, als Künstler gecancelt und politisch verfolgt wurden, wenn sie sich nicht öffentlich vor der McCarthy-Kommission vom Kommunismus distanziert haben«, sagte Nida-Rümelin. Man lege damit die Axt an die Grundwerte einer freiheitlichen Demokratie.

Nida-Rümelin kritisierte konkret den Gergijew-Rauswurf bei den Münchner Philharmonikern. »Warum hat sich die Stadt München Gergijew als Dirigent der Münchner Philharmoniker geholt? Weil er ein genialer Musiker ist und nicht, weil er als Putin-nah galt.« Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte die Trennung von dem Dirigenten im März damit begründet, dass dieser sich trotz Aufforderung nicht vom Angriff Russlands auf die Ukraine distanziert hatte. (dpa/jW)

  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan-Ude, Russland (16. März 2022 um 11:02 Uhr)
    Da ich selbst Dirigent bin, möchte ich mich zur Entscheidung des Münchner Stadtrates (Fall Gergiew) äußern. Hat man bei einem der zahlreichen Kriege von USA, GB, Frankreich jemals in Deutschland einem Künstler dieser Länder wegen nicht erfolgter Stellungnahme gekündigt, und das ausgerechnet in München? Ich kann es nicht akzeptieren, dass russische Künstler wegen zu großer Nähe zu Putin einhellig verurteilt werden in einem Land, welches zuvor nach 1945 vierzig Jahre lang keinerlei Probleme mit Dirigenten hatte, die dem Naziregime eng verbunden waren, ohne beides auf eine Stufe stellen zu wollen. Eugen Jochum, der zum »Führergeburtstag« mit Hakenkreuzbinde Festkonzerte dirigiert hatte, war nach dem Zweiten Weltkrieg langjähriger Chefdirigent des Orchesters des Bayerischen Rundfunks. In Berlin wirkte dann bis 1987 Karajan, der sicherheitshalber gleich zweimal in die NSDAP eingetreten war, einmal in Österreich, dann in Deutschland. Als die Musiker der Staatsoper Berlin dem noch jungen Karajan einmal nicht gehorchen wollten, unterbrach er die Probe für 15 Minuten. Anschließend erschien eine Person in Uniform: »Der Herr Reichsmarschall wünscht, dass sie dem Dirigenten Folge leisten.« Dann war Ruhe. Karl Böhm, wohnte in Wien in einer arisierten jüdischen Villa und begrüßte das Publikum, ohne dazu verpflichtet zu sein, mit dem Hitlergruß. »Es ist sicher im Sinne der Regierung gelegen, wenn ich als deutscher Dirigent nach Wien gehe, um dort den zahlreichen Anhängern der nationalsozialistischen Idee neue Anregung zu geben.« Dass Gergiew den russischen Chef der Luftwaffe in einer Probe zu Hilfe gerufen hätte, verlautete bisher noch nicht. Karajan dagegen dirigierte im okkupierten Paris Konzerte für die Wehrmacht. Dennoch lud die UdSSR ihn und Jochum zu Gastspielen ein. Die Herzen der Leningrader, welche dreißig Jahre zuvor eine Million Menschen durch die Blockade verloren hatten, flogen dem Bayerischen Orchester unter Jochum zu. Stichwort: Herz.

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