Hintergrund: Sorgenfalten in Brüssel und Berlin
Von Jörg KronauerNiger, bis Mittwoch vergangener Woche von einer korrupten, von Frankreich abhängigen Elite regiert, hat für Deutschland und die EU in den vergangenen Jahren einige strategische Bedeutung gewonnen. Zunächst ging es darum, das Land zum Sperriegel gegen Flüchtlinge auszubauen. In den Jahren, in denen der nun gestürzte Präsident Mohammed Bazoum noch als Innenminister amtierte (2016 bis 2020), initiierte die EU dort den Bau von Lagern für Flüchtlinge, die aus Libyen nach Niger deportiert wurden, während die Bundesrepublik Militär-Lkw, Überwachungsgeräte und Wärmebildkameras lieferte, mit denen die nigrischen Streitkräfte sich am Abfangen von Flüchtlingen auf dem Weg ans Mittelmeer beteiligen sollten. Dass die Flüchtlingsabwehr beeinträchtigt werden könnte, ist noch heute eine Sorge, die so manche Berliner Politikerin mit Blick auf den Putsch umtreibt.
Niger ist darüber hinaus schon seit Jahren das zentrale Drehkreuz für die Bundeswehr bei ihren Einsätzen im Sahel. Der Flughafen in der nordmalischen Stadt Gao, in der deutsche Truppen stationiert sind, ist für große und schwere Transportflugzeuge nicht geeignet. Da Nigers Hauptstadtflughafen in Niamey näher bei Gao liegt als Malis Hauptstadtflughafen in Bamako, hat die Bundesrepublik dort einen Stützpunkt für Militärtransporte eingerichtet, den sie bis heute nutzt. Diente er lange dazu, die Versorgung für die Bundeswehr in Mali, den Transport von Verwundeten und derlei mehr abzuwickeln, so hat er heute zentrale Bedeutung für den Abzug der Bundeswehr aus Mali, der eigentlich bis Ende des Jahres abgeschlossen sein muss. Schon jetzt stockt er, weil die nigrischen Militärs seit ihrem Putsch den Luftraum geschlossen haben. Womöglich entsteht da ein ernstes Problem.
Vor allem aber ist Niger das letzte Land in der unmittelbaren Kampfzone im Sahel, in dem Truppen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus der EU bzw. aus dem Westen insgesamt noch stationiert werden können. Auch die Bundeswehr hat sich dort festgesetzt, nicht nur mit ihrem Lufttransportstützpunkt in Niamey, auch mit Soldaten, die sie im Rahmen der EUMPM Niger (EU Military Partnership Mission in Niger) dorthin entsandt hat. Müsste sie abziehen, dann wäre ihr das gesamte Sahelkerngebiet versperrt – dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Länder dort in gewissem Maß Russland annähern. In den 2000er Jahren hatten Berlin und Brüssel es zum Ziel erklärt, einen Staatenring um Europa unter Kontrolle zu bekommen, um das imperiale Ausgreifen der EU strategisch abzusichern. Die Kontrolle über diesen Ring bröckelt immer mehr – jetzt auch in Niger. (jk)
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