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Aus: Ausgabe vom 09.12.2023, Seite 16 / Aktion
In eigener Sache

Den Chef abwählen?

Junge Welt fixiert Mitwirkungsrechte der Belegschaft
Von Dietmar Koschmieder
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Die Tageszeitung junge Welt wird im Verlag 8. Mai und von der Firma AVZ hergestellt und vertrieben. Für die Beschäftigten gibt es dort seit Jahren Sonderrechte, die am Freitag nun auch formal fixiert wurden. Auf der kommenden Generalversammlung der Genossenschaft LPG junge Welt eG soll das Statut vorgestellt werden.

Im April 1995 stellten Westunternehmer, die die junge Welt 1991 von der Treuhand für eine D-Mark gekauft hatten, das Erscheinen der Zeitung ein. Aber zwei Redakteure gründeten innerhalb von wenigen Tagen die Verlag 8. Mai GmbH (die Gründung der Genossenschaft LPG junge Welt eG dauerte wesentlich länger). Die weitere Herausgabe der jungen Welt als marxistisch orientierte Tageszeitung konnte nur unter Nutzung bürgerlicher Institutionen abgesichert werden (auch Genossenschaften haben aufgrund vieler Änderungen im Genossenschaftsgesetz viel vom ursprünglichen Ansatz verloren).

Aber bereits 1997 stellte sich bei einer Auseinandersetzung heraus, dass zusätzliche Mitwirkungsmöglichkeiten für die Belegschaft geschaffen werden müssen. Der Streit mit der jungle-World-Fraktion, die eine Abkehr von der marxistischen Orientierung durchsetzen wollte, wurde durch einen Belegschaftsentscheid geklärt: Der Geschäftsführer stellte einen 10-Punkte-Plan zur Abstimmung, der auch die Beurlaubung des amtierenden Chefredakteurs vorsah. Eine deutliche Mehrheit befürwortete diesen Plan. Seither ist die Option des Belegschaftsentscheids Teil der jW-Unternehmenskultur, es gab auch weitere Abstimmungen, aber der Rahmen wurde nicht schriftlich fixiert und durch keine Belegschaftsabstimmung bestätigt. In den Jahren 2015 bis 2017 erarbeiteten Betriebsrat und Geschäftsführung eine schriftliche Grundlage dieses Unternehmensstatuts, aber zur geplanten Abstimmung kam es nicht.

Weil seit April dieses Jahres im Rahmen der Nachfolgeregelung für die Geschäftsführung eine Reihe von Fragen kontrovers diskutiert und auch ein alternatives Unternehmensstatut ins Spiel gebracht wurde, hatte die Belegschaft einige Fragen zu klären: Soll die junge Welt wie bisher organisiert sein (mit dann schriftlich fixiertem Mitbestimmungsmodell und einem Geschäftsführer, der die volle Verantwortung trägt), oder soll dies durch ein anderes Modell (etwa mit fünf gleichberechtigten Geschäftsführern) ersetzt werden?

Ende Oktober kam es zum Belegschaftsentscheid, mit dem nicht nur über das Unternehmensstatut, sondern auch über das Vorgehen in der Nachfolgefrage der Geschäftsführung entschieden wurde: Bei einer Wahlbeteiligung von 84,6 Prozent der Belegschaft stimmten 67,3 Prozent für das bestehende Modell in der vorgelegten verschriftlichten Form. Damit dieses Ergebnis verbindlich für alle wird, musste noch die Mitarbeitendenversammlung (das sind alle LPG-Genossenschaftsmitglieder, die mehr als sechs Monate bei der Verlag 8. Mai GmbH und der AVZ GmbH beschäftigt sind) dem Ergebnis zustimmen. Was am 30. November mit 72,4 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen geschah. Am gestrigen Freitag unterzeichneten nun die Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH und der AVZ GmbH das Dokument, mit dem sie sich mit der Einschränkung ihrer Rechte ausdrücklich einverstanden erklären. Damit ist dieses Statut verbindliche Arbeitsgrundlage für alle Beteiligten. Auf der außerordentlichen Generalversammlung am Samstag, 16. Dezember, wird unter anderem auch das Unternehmensstatut ausführlich vorgestellt.

jW-Belegschaft entscheidet sich für ­Unternehmensstatut und Nachfolgeregelung

• Bestätigt wurde auf den Versammlungen die Organisationsstruktur, die sich über Jahre herausgebildet hat. So gibt es neben der Geschäftsführung eine Leitungsrunde, die sich aus den Verantwortlichen von Redaktion, Verlag, Produktion und Geschäftsführung zusammensetzt, den wöchentlich tagenden Verlags- und Redaktionsrat (bestehend aus den Ressortleitern und der Leitungsrunde) und die monatliche Vollversammlung der Belegschaft, um hier nur einige der Strukturen zu nennen.

• Verschriftlicht wurden die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen die Belegschaft grundsätzliche Entscheidungen von Chefredaktion und Geschäftsführung kippen, aber auch Chefredakteur und Geschäftsführer abwählen können.

• Bestätigt wurde auch das Vorgehen der Geschäftsführung in Sachen Nachfolge: Die Kollegen Jonas Pohle (Geschäftsführer der AVZ GmbH) und Sebastian Carlens (Leiter der Verlag 8. Mai GmbH) sollen ab sofort darauf vorbereitet werden, die Geschäftsführung der Verlag 8. Mai GmbH zu übernehmen. Eine endgültige Entscheidung ist das für beide Seiten noch nicht: Die Berufung der neuen Geschäftsführung wird voraussichtlich in etwa zwei Jahren erfolgen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

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