Macron ruft Neuwahlen aus
Von Hansgeorg Hermann![-FRANCE.JPG](/img/450/195898.jpg)
Die Republik fasste sich nahezu geschlossen an den Kopf am Sonntag abend: Um 20.58 Uhr hatte ihr Präsident Emmanuel Macron das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen. Am 30. Juni und eine Woche später, am 7. Juli, sollen die knapp 50 Millionen wahlberechtigten Franzosen schon wieder an die Urnen gehen – diesmal, um die 577 Plätze in der Nationalversammlung neu zu besetzen. Resultat einer krachenden Niederlage der Regierungspartei Renaissance, die bei den EU-Wahlen mit 14,6 Prozent der Stimmen nicht einmal die Hälfte der 31,4 Prozent des am Rand unaufhaltsam angewachsenen Rassemblement National (RN) der Marine Le Pen erreichte.
Ein »Pokerspiel« des »unberechenbaren« Staatschefs, ein »Pyromane«, der sich als »Feuerwehrmann« ausgebe – die Reaktionen auf Macrons jüngsten, bisher wohl gewagtesten und risikoreichsten politischen Streich blieben am Montag einheitlich und vor allem negativ. Denn sollten Le Pen und ihr Kronprinz Jordan Bardella auch die Parlamentswahl in drei Wochen für ihre Bewegung entscheiden, was Experten in den demoskopischen Instituten bereits für ausgemacht halten, dann drohe der Republik zum ersten Mal in ihrer Nachkriegsgeschichte eine von der extremen Rechten angeführte Regierung. Unterstützt womöglich von Éric Zemmour, dem Anführer der faschistischen Bewegung Reconquête, der Le Pens Nichte Marion Maréchal ins Rennen geschickt und aus dem Stand 5,5 Prozent der Stimmen eingefahren hatte.
Im Fall eines RN-Kantersiegs Neuwahlen auszurufen sei allerdings nicht nur Macrons Entscheidung gewesen, meldete am Montag die Hauptstadtzeitung Le Monde. Der bleibe ja ohnehin an der Macht – als vom Parlament losgelöstes, direkt gewähltes Verfassungsorgan. »Seit einigen Monaten« habe eine im Präsidentenpalast Élysée zusammengerufene »geheime Zelle« – Leute des früheren Staatschefs und Macron-Ratgebers Nicolas Sarkozy sowie einige Senatoren der bürgerlich-katholischen Rechten – am bisher nur unvollständig veröffentlichten Szenario gearbeitet: Hinter Macrons Knaller verberge sich wohl die Hoffnung, man könne eine von Le Pens RN geführte Regierung sich im politischen Alltag abnutzen lassen und ihr so die Siegchancen für die Präsidentschaftswahl 2027 verbauen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (11. Juni 2024 um 14:01 Uhr)Macron in Not! Er setzt alles auf eine Karte. Die unerwartete Ansetzung von Neuwahlen durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist ein riskantes Unterfangen: Über Nacht ist das Unvorstellbare möglich geworden – die Übernahme der Regierungsmacht in Paris durch die Rechtspopulisten, die in Frankreich als Rechtsextremisten bezeichnet werden. Marine Le Pen an der Spitze der Regierung der Nation der Menschenrechte? Diese »verrückte« Möglichkeit, wie ein Kommentator es formulierte, wollte am Montag vielen Franzosen nicht in den Kopf. Le Pens Rassemblement National (RN) hat fast ein Drittel der Stimmen erzielt, doppelt so viel wie jede andere Partei, einschließlich der Macronisten. Macron ist so unpopulär und selbstverliebt, dass die revolutionären Franzosen ihm ein Kuckucksei in Form einer RN-Regierung ins Élysée-Nest setzen könnten. In diesem Fall müsste sich auch Europa damit abfinden, dass eine »antieuropäische Kraft« ein Schlüsselland der EU regieren würde. Macron bliebe zwar verfassungsrechtlich für die Außenpolitik zuständig. Trotzdem würde sich in der EU und im Krieg in der Ukraine vieles ändern, wenn Le Pen oder ihr Adlatus Jordan Bardella den Premierministerposten einnähme. Es scheint, als würde in Frankreich bald nichts mehr so sein, wie es bisher war.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (11. Juni 2024 um 16:19 Uhr)Und dabei hat Frankreich sogar noch »Glück« gehabt, dass der smarte Sonnenkönig Emmanuel I. nicht gleich die Wiedereinführung der Monarchie verkündet hat. Seinem Selbstbildnis als sakrosanktem Geldadligen von Wall Streets Gnaden würde das ja auf jeden Fall voll und ganz entsprechen.
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