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Aus: Ausgabe vom 20.06.2024, Seite 4 / Inland
Innenministerkonferenz

Potsdamer Abschiebetreffen

Brandenburg: Innenministerkonferenz begonnen. Beratungen über verschärfte Migrationspolitik. Flüchtlingsorganisationen kündigen Protest an
Von Kristian Stemmler
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Auch ein Thema der IMK: Verlagerung von Asylverfahren ins Ausland (Eisenhüttenstadt, 18.6.2024)

Wenn es darum geht, Geflüchteten das Leben schwer zu machen, passt zwischen die Innenminister von Bund und Ländern kein Blatt. Vor Beginn der Innenministerkonferenz (IMK), die am Mittwoch nachmittag in Potsdam zusammentrat und bis Freitag tagen soll, forderten Innenminister von Union und SPD, ebenso wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder aufzunehmen. Diese waren mit Blick auf die »prekäre humanitäre Lage« in den beiden Ländern ausgesetzt worden, nach dem tödlichen Messerangriff eines Afghanen auf einen Polizisten in Mannheim aber wieder zum Thema geworden.

Für den Vorsitzenden der IMK, Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), sind auch Verhandlungen mit den Taliban vertretbar, um Abschiebungen dorthin »in Einzelfällen schwerwiegender Straftaten« umzusetzen. Dafür könnten »vorhandene Kontakte zur Taliban-Regierung, die wir nicht als legitim anerkennen« genutzt werden, sagte Stübgen dem Nachrichtenportal Politico. Die BRD bringe schließlich 400 Millionen Euro Hilfe nach Afghanistan, argumentierte der CDU-Politiker. In Syrien habe sich die Sicherheitslage verbessert.

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD), Sprecher der SPD-geführten Länder in der IMK, sieht das ähnlich. »Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er beispielsweise aus Afghanistan kommt«, sagte er dpa. Hier wiege das Sicherheitsinteresse der BRD schwerer als das Schutzinteresse des Täters. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stimmte in den Chor ein. Er erklärte gegenüber dem Sender Bayern 2, wenn Menschen das Asylrecht missbrauchten, um Straftaten wie schwere Körperverletzung oder Vergewaltigungen zu begehen, sei das »unerträglich« und den Menschen in unserem Land »unzumutbar«.

Bei Faeser rannten die Ministerkollegen offene Türen ein. »Wir verhandeln vertraulich mit verschiedenen Staaten, um Wege zu eröffnen, über die Abschiebungen nach Afghanistan wieder möglich werden«, verriet sie der Neuen Osnabrücker Zeitung (Mittwoch). Ihr Ministerium arbeite »intensiv« daran, Abschiebungen von »islamistischen Gefährdern und Gewalttätern« nach Afghanistan durchsetzen zu können. Deutsche Sicherheitsinteressen stünden für sie »ganz klar an erster Stelle«.

Die Bundesinnenministerin, die den Kurs ihres Amtsvorgängers Horst Seehofer (CSU) praktisch nahtlos fortsetzt, will bei der IMK laut dpa auch erläutern, zu welchem Ergebnis ihr Ministerium bei der Prüfung der von einigen Politikern geforderten Auslagerung von Asylverfahren in »Drittstaaten« gekommen ist. Die Frage sei »ergebnisoffen« geprüft worden, erklärte ein Sprecher am Mittwoch. Kritik kam von Bremens Ministerpräsident Andreas Bovenschulte (SPD). Der erklärte gegenüber dpa, der Plan, Asylverfahren in »sicheren Drittstaaten« durchzuführen, sei »von Anfang an eine politische Schnapsidee« gewesen.

Ein weiteres Thema bei der IMK wird die Forderung von Stübgen und seinem Kollegen aus Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), sowie Teilen der FDP-Bundestagsfraktion, sein, die Zahlung von Bürgergeld an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu beenden. Diese sollen statt dessen nur noch niedrigere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Bei einem Wechsel von Ukrainern ins Asylsystem würde ihnen allerdings der Zugang zu Sprachkursen, Arbeitsvermittlung oder Qualifizierung »deutlich erschwert«, wie Städtetagspräsident Markus Lewe (CDU) am Mittwoch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte.

Für Pro Asyl ist die Diskussion um Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan eine »polarisierende Scheindebatte«. Beide Länder seien »nach wie vor Unrechtsstaaten, wo von seiten der Regime inhaftiert, gefoltert und gemordet wird«, erklärte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher der Organisation gegenüber jW. Um in diese Länder abzuschieben, brauche es eine Zusammenarbeit »mit dem Assad-Regime und den Taliban und damit quasi eine Anerkennung dieser Folter- und Terrorregime«. Flüchtlingsorganisationen wollen am Donnerstag in Potsdam gegen eine verschärfte Migrationspolitik protestieren. »Geflüchtete Menschen brauchen Schutz – keine rassistische Hetze«, heißt es in ihrem Appell.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (20. Juni 2024 um 11:04 Uhr)
    Das Abschieben von Menschen ist für Politik in diesem Lande zum beliebtesten Tun im Namen der Menschenrechte geworden. Afghanistan und Syrien: Herkunftsländer in denen wir wie lange Krieg geführt haben für die Menschenrechte oder mit geführt haben? Was haben wir dort angerichtet, dass Menschen fliehen, die wir befreien wollten, denen wir Brunnen gebohrt haben, Mädchen in die Schule begleitet haben? Jetzt kommen offenbar nur gewalttätige Islamisten aus den Ländern zu uns.
    Erinnert sich keiner mehr an die Talkrunden, als uns Krieg als unerlässlich erklärt wurde. Heute will angesichts der vorhersehbaren Ergebnisse und Folgen keiner mehr etwas davon wissen. Uns diese verheerende Kriegspraxis setzt sich fort bis zur Ukraine. Was haben wir für Politiker? In wessen Interesse betreiben sie das? Für ihr Volk? Für die Völker Afghanistans, Syriens, vieler anderer und des ukrainischen Volkes? Das kann nicht sein. Nicht nur das allein. Abschieben von Menschen, die für uns unnütz sind. Ausgebildete Fachkräfte aus diesen Ländern aufnehmen, was uns nichts gekostet hat. Getragen und getrieben von der Stimmung der Straße, wird das betrieben. Wer und was ist für die Stimmung der Straße verantwortlich? Wer bringt die Kriegsstimmung in das Volk in wessen Interesse? Allein eine AfD? Gegen geordnete Migration ist nichts zu sagen. Was ist daran aber geordnet, wenn tagtäglich der Tod von Menschen in Kauf genommen wird, wenn sich dieses Deutschland freikauft von Menschenrechten, Dritten die Aufgabe aufbürdet, Flüchtlingsarbeit den Freiwilligen überlasst, wissentlich die Konflikte zwischen und unter Flüchtlingen offenbar zur Stimmungsmache gern in Kauf nimmt. Dieses Land behauptet, sich von niemandem in der Welt in Fragen Menschenrechten übertreffen zu lassen. Dieses Deutschland will gerade bei der EM sein Sommermärchen zünden. Für Millionen Flüchtlinge ist es keines. Deutschland wäre an Heines Wintermärchen zu erinnern.

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