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Aus: Ausgabe vom 29.06.2024, Seite 1 / Titel
15. AfD-Bundesparteitag

AfD überflüssig

»Klima des Wegduckens«: Unter Druck der Ultrarechten greifen Lokalpolitiker im Erzgebirge offenbar in Theaterinszenierung ein. Proteste gegen Parteitag
Von Arnold Schölzel
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Die AfD hält am Wochenende in Essen ihren 15. Bundesparteitag ab, es wird vor »Linksextremisten« gewarnt

Wenn AfD und CDU in einem Landkreis zusammen fast 60 Prozent der Stimmen erhalten, passiert so etwas: Das Kinder- und Jugendtheater Burattino im erzgebirgischen Stollberg, in der DDR ein Pioniertheater, brachte im Sommer 2023 ein Stück über die antifaschistische Widerstandsgruppe »Weiße Rose« auf die Bühne. Am Dienstag berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), »rechte Schülerkreise am Stollberger Gymnasium und die AfD im Erzgebirgskreistag« hätten daraufhin Druck auf die Theatermacher ausgeübt. Einige dieser Schüler hätten das Stück bei der damaligen, aber inzwischen ausgeschiedenen AfD-Kreisrätin Sylvia Vodel angezählt. Die Rede sei von »linksradikaler Indoktrination« gewesen.

Der Erzgebirgskreistag befasste sich zwar nicht mit den Anfragen, aber die Leiterin des Kultureigenbetriebes im Erzgebirgskreis, Susanne Schmidt, musste sich rechtfertigen. In die Inszenierung wurde laut Regisseur Falko Köpp, der das Stück bereits 2017 in Leipzig inszeniert hatte, eingegriffen – was der zuständige Kreiskulturbetrieb allerdings bestreitet. Der MDR zitierte Köpp mit den Worten: »Es braucht die AfD gar nicht mehr, weil das Klima des Wegduckens schon von Konservativen kommt.« Das sei schockierend, betont er, weil es bei der »Weißen Rose« genau darum gehe. Bei der Kommunalwahl am 9. Juni hatte die AfD im Erzgebirgskreis, dem bevölkerungsreichsten Landkreis Ostdeutschlands, 29,4 Prozent der Stimmen erhalten, die CDU 29,3. Bei der gleichzeitigen Wahl zum EU-Parlament holte die AfD 38,3 Prozent, die CDU 23,9 Prozent.

Satte Gewinne bei den Wahlen am 9. Juni fuhr die AfD auch in Nordrhein-Westfalen ein, dort vor allem im nördlichen Ruhrgebiet, wo sie zwischen 16 und 18 Prozent holte. Landesweit kam sie mit 12,6 Prozent der Stimmen auf den vierten Platz, das entsprach 1,05 Millionen Stimmen – mehr als in den ostdeutschen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen zusammen. In Gelsenkirchen landete sie mit 21,7 Prozent vor der SPD mit 21,5 Prozent auf dem zweiten Platz, auch in Essen lag sie mit 13,3 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Dort beginnt am Sonnabend der zweitägige 15. AfD-Bundesparteitag, zu dem etwa 600 Delegierte sowie rund 1.000 Pressevertreter und Besucher erwartet werden. Am Freitag berichteten Nachrichtenagenturen von vernagelten Fenstern, geschlossenen Geschäften und massiven Polizeikontrollen, die den Stadtteil Rüttenscheid teilweise lahmgelegt hätten. Die CDU-geführte Landesregierung ging von bis zu 100.000 Anti-AfD-Demonstranten aus der ganzen Bundesrepublik aus und warnte zugleich vor angeblich 1.000 gewaltbereiten »Linksextremisten« auf dem Weg nach Essen.

Mainstreammedien spekulierten am Freitag über Lagerkämpfe auf dem Parteitag. Auf ihm werden die Parteichefs sowie der Vorstand neu gewählt. Umkämpfte Positionen im Programm stehen auf der Tagesordnung, darunter die Einsetzung eines Generalsekretärs und nur einer Person im Vorsitz. Die bisherige Doppelspitze Alice Weidel und Tino Chrupalla gab sich vorab gelassen und erklärte, auch das Modell zu akzeptieren. Unklar ist, über welchen Einfluss der Thüringer Landeschef Björn Höcke noch verfügt.

Im am Freitag vorab veröffentlichen ZDF-»Politbarometer« legte die AfD erstmals seit November 2023 wieder zu. 17 Prozent der Befragten gaben in der Umfrage an, der Partei ihre Stimme zu geben, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre – ein Prozentpunkt mehr als vor zwei Wochen.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (1. Juli 2024 um 14:09 Uhr)
    Wie Faschismus zur Macht strebt, durfte unsere Generation noch lernen. Von Antifaschisten, die sich nicht wie heute heuchlerisch und verlogen als solche geben, von Menschen, Lehrern, PolitikernInnen, Opfern erfahren, nacherleben konnten wir. Was Arnold Schölzel, den ich sehr schätze, über meine/unsere Heimatregion im Erzgebirge berichtet, es bewegt uns sehr. Welche Generation angeblicher Freiheits-, Demokratie- und Menschenrechtswende kann das nachempfinden? Was ist in ihre Köpfe manipuliert worden über »verordneten« Antifaschismus? Was wissen und hören sie über eine DDR außer Wartezeiten für Auto, Reiseverbote, Mangel, Mauer, Stasi, Unfreiheit u. ä.? Was lehren oder verbreiten auch Pädagogen heute, wenn sie dümmlichst, ahnungslos oder bewusst verlogen DDR mit Faschismus vergleichen, als offizielle Lesart?
    Wir fremdschämen uns für alle bis in Verwandten-, Bekanntenkreis, die bedenkenlos, wichtigtuerisch, gefallsüchtig, unwissend, unkritisch alles nachplappern. Es schmerzt nicht nur uns, die heutigen Generationen, die anderes vorgelebt haben, noch Wahrheit über Faschismus, Krieg, DDR im Guten wie Schlechten wussten, erfahren, erlebt haben. Es ist unglaublicher Hohn, Zynismus, Spott, ein Bühnenstück über die antifaschistische Widerstandsgruppe »Weiße Rose« »rechten Schülerkreisen« zu überlassen. Von den angeblichen Millionen Kämpfern gegen Antisemitismus und Faschismus scheint bis ins Erzgebirge niemand vorgedrungen zu sein, im Bildungswesen, in der Kultur, sächsische Politik des Landes und der Kommunen wenig bis nichts zu spüren. Verordneter Antifaschismus wird heute »linksradikale Indoktrination« genannt. Wertewandel, wie wir ihn erleben. Erlebbar, wie Faschismus ganz ohne AfD aus Sumpf vereinnahmter, korrumpierter, angepasster Politik, Parteien des »Rechtsstaates« hervorkriecht, in Anlehnung B. Brechts weiser, wissender Gedanken. Faschismus regiert in Italien, Frankreich ist auf dem Weg, Ungarn, Türkei, zahlreiche andere Staaten sind auf dem Weg oder regieren bereits.
    AfD mit CDU vereinen im Landkreis des Erzgebirges 60 Prozent der Stimmen. Der blaue Osten ist sprichwörtlich nach der Wahl und alle tun so, als wäre es ihnen unerklärlich. Wie immer, sie werden auch am Ende von nichts gewusst haben, große ahnungslose Augen machen. A. Schölzel, Kommunist und Antifaschist mit Westvergangenheit, schreibt über »Rechtes« meiner Heimat.
    Solche Westkommunisten, -antifaschisten machen uns stolz, beschämen zugleich. Wie gut und richtig war doch »verordneter« Antifaschismus der DDR! Er konnte nie ein anderer sein. Mit Gründung der DDR war Denken und Verhalten, Erlebtes, Erfahrenes, Krieg und Elend in den Köpfen, faschistische Ideologie nicht verschwunden. Neues Denken wurde gefördert, dem Alten der Kampf angesagt, mit Gesetz und Gewalt dem Faschismus begegnet. Brutstätte des neuen Faschismus war nicht DDR oder Osten. Die Spur führt gen Westen, zurück zur Gründung der BRD, ihrer Traditionslinien, die nicht ◄5Weiße Rose« war, der Antifaschisten lange, bevor die Männer um Stauffenberg ihren Antifaschismus entdeckten.

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