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Aus: Ausgabe vom 01.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Cum ex und Cum cum

Einladung zum Steuerraub

Die Aufklärung der milliardenschweren »Cum-ex«-Betrügereien wird erfolgreich blockiert. Neue Varianten der kriminellen Geschäfte florieren
Von Sebastian Edinger
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Davongekommen: Christian Olearius markierte in seinem Prozess bis zuletzt den Unschuldsengel

Der Patriarch der Hamburger Skandalbank M. M. Warburg, Christian Olearius, muss nicht hinter Gitter. Wegen des schlechten Gesundheitszustands des 82jährigen wurde das »Cum-ex«-Verfahren gegen ihn in der vergangenen Woche eingestellt. Der Skandal besteht dabei darin, dass der Prozess zunächst um Haaresbreite überhaupt nicht eröffnet worden wäre und dann über Jahre verzögert wurde, bis es 2023 doch noch losging. Andernfalls hätte das Verfahren deutlich früher beendet werden können, als sich der Bankster noch besserer Gesundheit erfreute.

So entgeht ein ganz dicker Fisch im »Cum-ex«-Sumpf dem Strafvollzug. Immerhin hatte Warburg den deutschen Steuertopf durch die illegale Aktienverschiebung rund um den Dividendenstichtag um insgesamt 280 Millionen Euro erleichtert. Vergebens war der Prozess dennoch nicht, ergaben sich doch Hinweise auf zahlreiche weitere »Cum-ex«-Steuerdiebe. Auch die politische Mitverantwortung des heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) rückte durch das Verfahren immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Dass es trotz aller Behinderungen seitens der Politik und des Finanzwesens letztlich doch noch zu einem Verfahren gegen Olearius kam, war insbesondere der Hartnäckigkeit der ehemaligen Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker zu verdanken.

Diese galt als kompetente, engagierte und knallharte Aufklärerin des großen Steuerraubs. Mittlerweile wurde sie vom NRW-Justizministerium abgesägt. Erst wurden ihre ohnehin knappen Ermittlungskapazitäten beschnitten, dann wurde Brorhilker selbst degradiert. Ihre Abteilung sollte durch Aufspaltung weiter geschwächt werden. Letztlich warf die angesehene Ermittlerin im April das Handtuch und bat um Entlassung aus dem Beamtendienst (jW berichtete). Es sei ein »Grundproblem, dass Täter mit viel Geld und Einfluss auf eine schwache Justiz treffen, die dem nicht Herr werden kann«, sagte sie damals und bemängelte, dass auch im zwölften Jahr der »Cum-ex«-Ermittlungen kaum zusätzliche Kapazitäten aufgebaut wurden.

Bankster, hört die Signale

Brorhilkers Aus war eine gute Nachricht für die zahlreichen Steuerdiebe im Land und jene, die es noch werden wollen. Schließlich hat die Staatsanwältin die Aufklärung des Betrugs über Jahre maßgeblich vorangetrieben und unter anderem den Mitentwickler und Drahtzieher des »Cum-ex«-Modells, Hanno Berger, für acht Jahre in den Knast gebracht. Das Signal aus NRW an die Bankster im Land ist klar: Tatkräftige Ermittlungen gegen Finanzkriminalität sind in der BRD ungern gesehen, jetzt gilt wieder die gewohnte Nachsicht. Für diese steht hierzulande immerhin der Kanzler persönlich ein, seit er als Erster Bürgermeister Hamburgs seinen Einfluss auf die Steuerverwaltung der Hansestadt geltend machte, um Warburg die Rückzahlung gestohlener Millionen zu ersparen.

Dazu passt, dass mehr als zehn Jahre nach der »Cum-ex«-Hochphase die Schlupflöcher im Steuerrecht noch immer nicht geschlossen sind. Im Gegenteil: »Nach meinem Eindruck laufen die kriminellen Geschäfte weiter. Das System hat sich weiter perfektioniert und viele verschiedene Varianten hervorgebracht«, sagte Brorhilker vergangene Woche im Interview mit der Zeit. Damit spielt sie vor allem auf sogenannte »Cum-cum«-Geschäfte an, ein mit »Cum-ex« verwandtes Modell, das nicht nur von großen Geldhäusern genutzt wird, sondern auch von Volksbanken und Sparkassen. Der Schaden für den deutschen Fiskus wird auf 28 Milliarden Euro geschätzt (siehe Text unten und nebenstehende Spalte).

»Cum-ex«-ähnliche Steuerraub-Modelle florieren also weiterhin – und mit dem Wissen um den politischen Unwillen zur Strafverfolgung wohl jetzt erst recht. Schließlich waren die Einstellung des Verfahrens gegen Olearius und die Degradierung Brorhilkers nicht die einzigen erfreulichen Signale, die Steuerdiebe in letzter Zeit vernehmen durften. So wurde Mitte Juni bekannt, dass nach mittlerweile zwölf Jahren Ermittlungsarbeit gerade einmal 17 Verfahren gegen »Cum-ex«-Verbrecher eröffnet wurden. Von den bislang rund 1.700 Verdächtigen muss sich also gerade mal ein Prozent vor Gericht verantworten. Aufstockung der Ermittlungskapazitäten? Pustekuchen.

Hoffen auf Verjährung

So dürfen viele der am großen Steuerraub Beteiligten gelassen der Verjährung ihrer Straftaten entgegensehen. Zwar war die Verjährungsfrist für Fälle, die vor 2020 verjährt wären, auf 15 Jahre verlängert worden. Doch angesichts des Schneckentempos der Aufklärung spielt die Zeit den meisten Beschuldigten längst in die Karten. Erste Fälle können bereits nicht mehr verfolgt werden, bei weiteren wird es knapp. Hinzu kommt, dass die noch zu führenden Prozesse sehr wahrscheinlich Hinweise auf weitere Beteiligte liefern werden. Doch bis deren Vergehen untersucht werden können, dürfte es in aller Regel zu spät sein.

Auch die Aufarbeitung der politischen Verantwortlichkeiten verläuft, gelinde gesagt, schleppend. In Nordrhein-Westfalen musste die FDP-Fraktion mehr als ein halbes Jahr lang auf eine ziemlich dünne Antwort des Justizministeriums auf ihre große Anfrage warten, mit der die Vorgänge rund um Brorhilkers Aus beleuchtet werden sollten. In der Hamburger Bürgerschaft arbeitet der »Cum-ex«-Untersuchungsausschuss zwar fleißig an der Klärung der Verantwortung von Scholz und seinem Nachfolger als Bürgermeister, Peter Tschentscher (SPD). Doch angeforderte Dokumente kommen selten an, Laptops verschwinden und der Kanzler schweigt sich gegenüber den Abgeordneten regelmäßig mit Verweis auf die Leere in seinem Kopf aus. In einigen Monaten endet die Legislaturperiode – und damit wohl auch die Arbeit des U-Ausschusses.

Hintergrund: Was bedeutet »Cum-cum«?

Experten bezeichnen »Cum-cum« als den großen Bruder von »Cum-ex«, Händler gaben vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags an, in der Praxis werde kein Unterschied zwischen den beiden Modellen gemacht. Doch während der »Cum-ex«-Steuerraub mediale Aufmerksamkeit erhielt und die juristische Aufklärung – wenn auch schleppend – läuft, ist »Cum-cum« nur den Wenigsten ein Begriff. Dabei ist der Schaden noch größer und das gleichermaßen illegale Geschäftsmodell erfreut sich in der Finanzwelt weiterhin großer Beliebtheit.

Der Hauptunterschied zu »Cum-ex« besteht darin, dass bei »Cum-cum« ein beteiligter Aktieneigentümer im Ausland sitzt. Deshalb hat er nicht die Möglichkeit, sich in der BRD die Kapitalertragssteuer auf Dividendenzahlungen rückerstatten zu lassen. Um dennoch an die Staatsknete zu kommen, liefert er seine Aktienpakete vor dem Dividendenstichtag an ein deutsches Finanzinstitut. Von dort wird das Paket dann an ein anderes inländisches Geldhaus weitergegeben, und so weiter. Am Ende der Kette finden sich häufig kleine Volksbanken oder Sparkassen.

Nach dem Dividendenstichtag wird das Aktienpaket entlang der Kette zurückgegeben. Die für die Dividendenzahlung fällige Kapitalertragssteuer führt nur die kleine Bank am Ende ab. Aber alle an der Kette beteiligten Institute lassen sie sich zurückerstatten. So wird die einmal abgeführte Steuer – wie bei »Cum-ex« – mehrfach zurückerstattet. Am Ende teilen sich die Beteiligten die Beute.

Rechtlich gesehen, ist das »Gestaltungsmissbrauch«. Dass kleine, lokal verankerte Geldhäuser eingebunden werden, dient nach Einschätzung der Bürgerbewegung Finanzwende vor allem dazu, diesen Missbrauch zu verschleiern. (se)

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