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Aus: Ausgabe vom 01.07.2024, Seite 8 / Ansichten

Das »goldene Zeitalter«

80. Jahrestag von Bretton Woods
Von Lucas Zeise
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Die Konferenz schuf die Grundlage für IWF und Weltbank – und das »goldene Zeitalter des Kapitalismus«

Vor 80 Jahren, am 1. Juli 1944, begann im unscheinbaren Ort Bretton Woods im nordöstlichen US-Bundesstaat New Hampshire eine Konferenz, die ausnahmsweise tatsächlich die Welt veränderte. Die führenden kapitalistischen Staaten der damaligen Antihitlerkoalition vereinbarten eine internationale Währungs- und Finanzordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Delegationen aus 44 Staaten waren anwesend. Nicht geladen war die sozialistische Sowjetunion, deren Existenz und Erfolge jedoch ein wichtiger Grund für die Beratungen und Ergebnisse der Konferenz waren.

Die wichtigsten sind: Wechselkurse der Währungen werden politisch im Verhältnis zum US-Dollar festgelegt, der als einzige Währung ans Gold gebunden ist. Die USA verpflichten sich, anderen Zentralbanken (nicht jedoch einzelnen Bürgern) für je 35 US-Dollar eine Unze Gold auszuzahlen. Die Konferenz beschließt auch den Internationalen Währungsfonds (IWF), der Zahlungsbilanzungleichgewichte zwischen Staaten ausgleichen soll, und die Weltbank, die als Entwicklungsbank fungiert. Beide gibt es noch heute.

Die Beschlüsse von Bretton Woods sind der erste und (bisher) letzte erfolgreiche Versuch, den Konkurrenzkampf der nationalen Finanzkapitalgruppen sowie die Freizügigkeit des Finanzkapitals etwas einzudämmen. Die kernimperialistischen Länder waren so in der Lage, im Innern eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die den niederen Klassen und Schichten einen relativ hohen Anteil am erwirtschafteten Produkt ließ (»Wohlstand für alle«). Das hatte zur Folge, dass die wirtschaftliche Wachstumsrate hoch und die Arbeitslosigkeit niedrig waren. Der marxistische Historiker Eric Hobsbawm nennt aus diesem Grund die Nachkriegszeit das goldene Zeitalter des Kapitalismus. Man könnte auch sagen: die für ihn untypische Phase des Kapitalismus.

Voraussetzungen dafür, dass es zu den klugen Beschlüssen von Bretton Woods kam, waren die bisher tiefste Krise des Kapitalismus, die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise. Der Kapitalismus sah sich konfrontiert mit einer dreifachen Bedrohung: dem Aufschwung der Arbeiterbewegung in den imperialistischen Ländern, einem stärker werdenden sozialistischen Staat und dem erfolgreichen Kampf der Völker gegen den Kolonialismus. Weltpolitisch war die Situation günstig. Unter den Konkurrenten um die Weltherrschaft waren nur die USA übrig, unter deren Hegemonie sie sich in ein beinahe rationales Weltfinanzsystem fügten.

Bretton Woods ist jetzt 80 Jahre her. Die festen Wechselkurse wurden 1973 aufgegeben. Der Neoliberalismus setzte ein. Das goldene Zeitalter war vorbei und der Kapitalismus wurde sich selbst wieder ähnlicher. Einen Weg zurück dahin, wie Keynesianer und einige Restsozialdemokraten hoffen, gibt es nicht. Aber studieren sollte man die halbwegs erträgliche Ausformung dieser Produktionsweise durchaus.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Juli 2024 um 14:35 Uhr)
    Heute können wir mit einer Mischung aus Bewunderung und Ironie auf Bretton Woods zurückblicken. Die Konferenz war ein bemerkenswerter Versuch, den ungezügelten Kapitalismus zu zähmen und eine gerechtere Weltordnung zu schaffen. Doch die naiven Hoffnungen, die damals gehegt wurden, erscheinen aus heutiger Sicht fast rührend. Die damaligen Beschlüsse basierten vielleicht nicht auf Betrug, aber sicherlich auf einem weit übertriebenen Optimismus und einer Fehleinschätzung, was sowohl der menschlichen Natur als auch des Kapitalismus anbelangt. In der Retrospektive wirken die damaligen Vereinbarungen wie der Versuch, einen wilden Tiger an die Leine zu legen. Aber immerhin hatten sie den Mut, es zu versuchen, und das allein ist schon eine bewundernswerte Leistung, was vorübergehend einen Aufschwung brachte und zugegeben auch bestand.
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (1. Juli 2024 um 09:12 Uhr)
    Auch in diesem Artikel wird das Leben im Kapitalismus so dargestellt, als ob vor langer Zeit ein gewisser Höhepunkt erreicht war (das »goldene Zeitalter«), aber von da an ging es nur noch bergab. Falsch! Denn wäre dem so, müsste es uns allen zum heutigen Zeitpunkt schlechter gehen als in dem im Artikel erwähnten Jahr 1973. – Als ehemaliger DDR-Bürger hatte ich in der Schule gelernt, dass die Entwicklung des Kapitalismus zyklisch verläuft: Aufstieg und Abstieg wechseln sich ab, mit einer Zyklusdauer von ca. 11 Jahren. Leider wird in der jW stets nur von Krisen im Kapitalismus berichtet, nicht aber von den nachfolgenden Erholungsphasen. – Übrigens: In den jW-Ausgaben der 1970er Jahre war nirgends vom »goldenen Zeitalter« im Kapitalismus die Rede!