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Aus: Ausgabe vom 02.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
AfD-Bundesparteitag

Alternative für Orbán

Konflikte vorläufig stillgelegt: AfD-Bundesparteitag ohne große Auseinandersetzungen. Außenpolitische Linie konkretisiert
Von Nico Popp
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Keine »Melonisierung« in Sicht? Alice Weidel und Tino Chrupalla am Sonntag in Essen

Dass das im Vorfeld von einigen Medien angekündigte Hauen und Stechen beim AfD-Bundesparteitag am Wochenende ausgeblieben ist, reicht der Partei schon, um die Veranstaltung zu einem vollen Erfolg zu erklären. Dabei sagt der Kontrast zwischen Ereignis und Erwartung erst einmal gar nichts über die Partei aus, sondern nur über bestimmte spekulative Tendenzen in der Diskussion und Berichterstattung über die AfD – die sich freilich blamieren, wenn etwa der angeblich vor dem »Sturz« stehende Koparteichef Chrupalla mit über 80 Prozent Stimmen wiedergewählt wird.

Der Parteitag in Essen hat gezeigt, dass die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der AfD nicht beendet, wohl aber vorläufig stillgelegt sind. Obwohl die Umfragewerte der Partei zuletzt konstant abgebröckelt waren und der Wahlkampf schlecht lief, blieben in Essen Versuche aus, dieses Material für innerparteiliche Abrechnungen auszuwerten. Bei der rasch durchgezogenen Neuwahl des 14köpfigen Bundesvorstandes, dem Weidel als einzige Frau angehört, wurden alle wesentlichen Strömungen berücksichtigt.

Personell liegt weiter ein leichtes Übergewicht bei der Richtung, der es in erster Linie darum geht, die Partei nach innen und außen zu »normalisieren«. Gleichwohl rief Chrupalla den Delegierten zu, man strebe keine »Melonisierung« an. Der Name der italienischen Regierungschefin ist auch in der AfD inzwischen als Gattungsbegriff für eine Richtung der europäischen Rechten eingeführt, die sich explizit »transatlantisch« aufstellt. In diese Richtung arbeiten in der AfD nur noch wenige offen, zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter.

Ob sich die Koexistenz der auf »Normalisierung« und »Regierungsfähigkeit« bedachten Richtung mit der Mehrheitsströmung in den ostdeutschen Landesverbänden stabilisieren wird, bleibt abzuwarten. In Essen wirkte sich die Nähe der drei ostdeutschen Landtagswahlen zweifellos pazifizierend aus. Der Thüringer Landeschef Höcke war zudem auch bei diesem Parteitag kaum sichtbar. Eine von ihm vorgeschlagene Kandidatin für das Bundesschiedsgericht unterlag knapp. Bei seinem zweiten Auftritt bemühte er sich demonstrativ um Einordnung ins große Ganze, als er vorschlug, die beiden Anträge zur Außenpolitik zusammen abzustimmen.

Diese beiden Anträge sind die politisch bedeutenderen Beschlüsse dieses Parteitages (siehe Spalte). Insbesondere der von Höcke, dem sächsischen Landesvorsitzenden Jörg Urban und dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland vorgelegte Antrag »Für ein Europa des Friedens« macht erneut deutlich, dass vor allem die ostdeutschen Landesverbände beharrlich versuchen, sich im Mantel der »Friedenspartei« zu präsentieren. Daraus ergibt sich die bislang nur sehr unzureichend bewältigte Aufgabe für linke Gegner dieser Partei, insbesondere vor den Wählern in Ostdeutschland überzeugend darzulegen, dass die AfD mitnichten für Friedenspolitik steht.

Hinsichtlich der Frage der internationalen Affiliation hängt die AfD nach dem Parteitag vorerst weiter in der Luft. Der nun verkündete Austritt aus dem ID-Zusammenschluss war nur noch Formsache; Antworten, wie es nun weitergeht, blieben aus. Zur Entscheidung steht im Grunde, ob die Partei mit kleineren Partnern etwa aus Polen, der Slowakei, Griechenland und Spanien einen von ihr dominierten Zusammenschluss und eine entsprechende Fraktion im Europaparlament aufmacht oder ob sie anstrebt, sich dem am Wochenende aus der Taufe gehobenen Bündnis »Patrioten für Europa« von FPÖ, Fidesz und ANO anzuschließen.

Charakteristisch für die Lage der AfD ist, dass die Partei das gar nicht selbst in der Hand hat. »Auch wenn die AfD zu diesem Zeitpunkt noch nicht in eine gemeinsame Fraktion mit Fidesz gehen kann, eröffnet das für die AfD neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Parteien«, sagte ein Sprecher von Weidel am Montag gegenüber dpa. Man würde also gerne bei Orbán mitmachen, darf aber nicht. Vermutet wird im AfD-Bundesvorstand, dass die Bundesregierung in dieser Sache Druck auf den ungarischen Regierungschef ausübt.

Hintergrund: Nationalistische »Friedenspartei«

Der von Höcke, Urban und Gauland eingebrachte Antrag zur Außenpolitik geht von der Überlegung aus, dass die Neuordnung der Welt auf eine Art und Weise erfolgt, die Deutschlands »Interessen als Exportnation« bedroht. Dann heißt es weiter: »Eine falsche Außenpolitik, welche moralische Werte vor genuine Interessen stellt, zerstört nicht nur unseren Ruf in der Welt, sondern vor allem die wirtschaftliche Grundlage unseres Landes. Eine zunehmende Sanktions- und Kriegspolitik, ausgehend von Brüsseler Vorgaben, schadet unseren Gesellschaften und Europa als Wirtschaftsstandort.« Die AfD betrachte sich als »Friedenspartei«, die das »Primat von Diplomatie und Ausgleich, von Verhandlungen, von vorausschauender und friedlicher Konfliktbewältigung« für »vorrangig« halte. Der Antrag stellt einen positiven Bezug zur »multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts« her und erteilt gleichzeitig einem »pseudomoralisch begründeten Universalismus« eine Absage. Er mündet in einen Essentialismus von »Kulturräumen und Zivilisationen«. Die AfD bietet sich also als genuin nationalistische »Friedenspartei« an: Die »Sanktions- und Kriegspolitik« liegt schlicht nicht im Interesse der »Exportnation«.

In der separaten, von Weidel unterstützten »Resolution zur Außenpolitik« wird eine »interessengeleitete Außenpolitik des Ausgleichs« gefordert, »die auf die Stärkung der deutschen Souveränität, Sicherheit und des Wohlstands ausgerichtet ist«, und als Ziel die »Schaffung eines strategisch autonomen Europas der Vaterländer« ausgegeben. Die Argumentation ist vor allem souveränistisch; von »Friedenspartei« ist hier keine Rede. (np)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Juli 2024 um 11:55 Uhr)
    Was auf dem Spiel steht: Es kommt einiges zusammen. In Frankreich haben die Rechtsextremen beste Chancen auf die relative, vielleicht sogar die absolute Mehrheit. In etlichen anderen europäischen Ländern sind die Rechtsextremen bereits an der Macht (Ungarn, Niederlande) oder stark dorthin unterwegs (Österreich). In Deutschland sind sie Zweite bei den Umfragen, und in den USA wird der Wahlsieg des Donald Trump immer wahrscheinlicher. Dem stehen in Europa sehr schwache Mitte-Politiker und in den USA ein Marionette-Präsident entgegen. In Deutschland wurde bei der Europawahl die AfD auch im Wahlkreis »Dresden Stadt« zur stärksten Partei. Die rechtsnationalen Parteien haben nicht für alle Probleme gute Antworten. Aber auch wenn sie die Probleme teils übertreiben, benennen sie diese. Denn viel gefährlicher ist es, diese zu leugnen – wie es linke Politiker auch nach dieser Frankreich-Wahl wieder auf groteske Weise tun. Es ist zum Fürchten. Die demokratischen Kräfte sind schon lange nicht vor einer solchen Herausforderung gestanden. Sie ist zu bewältigen, aber wohl nur dann, wenn die Bürgerinnen und Bürger, die jetzt den rechten Protest wählen, merken, was auf dem Spiel steht.

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