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Aus: Ausgabe vom 05.07.2024, Seite 5 / Inland
Stadtentwicklungspolitik

Millionenfacher Leerstand

BRD: Jede 23. Wohnung ist unbewohnt. Mieterbund fordert Ende von Zweckentfremdung
Von Oliver Rast
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Verrammelt und heruntergekommen: Leerer Wohnraum, der verwittert (Gelsenkirchen, 12.9.2019)

Es überrascht, ist beinahe kaum zu glauben: Mit Stichtag 15. Mai 2022 standen bundesweit rund 1,9 Millionen Wohnungen leer. Unbewohnter Wohnraum, über den am Donnerstag das Statistische Bundesamt (Destatis) aus Wiesbaden berichtete. Die mittels Mikrozensus ermittelte Leerstandsquote beträgt 4,3 Prozent. Anders gerechnet: jede 23. Wohnung ist nicht bewohnt. Und von jenen stehe wiederum jede zweite »seit mindestens einem Jahr leer«, wurde die Destatis-Präsidentin Ruth Brand gleichentags in einer Mitteilung zitiert. Wie viele Butzen sind ab wann bezugsfertig, ist das auch statistisch erfasst? Ja. Mehr als ein Drittel der »Leerstandswohnungen«, bezugsfertig innerhalb der nächsten drei Monate. Das entspreche etwa 700.000 Wohnungen, so Brand weiter. Bei der Gebäude- und Wohnungszählung haben rund 23 Millionen Wohneigentümer Auskünfte zu ihren Immobilien erteilt, ferner rund 8.000 Wohnungsunternehmen.

Gründe für Leerstand gibt es einige. Für fast jede vierte leere Wohnung waren Baumaßnahmen oder Sanierungen geplant. Ein Abriss war nur bei vier Prozent vorgesehen. Sieben Prozent sollten verkauft oder von den Eigentümern selbst genutzt werden. Für jede fünfte leerstehende Wohnung wurden »sonstige Gründe« genannt.

Quoten von etwa zwei Prozent Leerstand in Städten mit überhitztem Wohnungsmarkt wie Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main oder München seien ein Skandal, betonte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds (DMB), am Donnerstag auf jW-Nachfrage. Zweckentfremdung müsse konsequent rechtlich unterbunden werden, »um den illegalen Entzug von dringend benötigtem Wohnraum zu verhindern.«

Caren Lay (Die Linke) fordert zwei­erlei: erstens ein Verbot von Entmietungen für höhere Verkaufserlöse und spekulativen Leerstand, so die mieten- und wohnungspolitische Sprecherin ihrer Bundestagsgruppe am Donnerstag zu jW. Und zweitens? »Es braucht Investitionsoffensiven in Wohnungssanierungen, Infrastruktur und lebenswerte Regionen, wo der Leerstand aufgrund des Wegzugs junger Menschen besonders hoch ist.«

Wichtig ist, der Leerstand dokumentiert keinen Wohnungsüberhang, weit gefehlt. In Hamburg sei er historisch niedrig und belege, »dass der Markt nicht mehr funktioniert«, sagte Rolf Bosse, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, am Donnerstag dieser Zeitung. Wäre ausreichend Wohnraum vorhanden, läge der Leerstand mindestens bei fünf Prozent aller Wohnungen. »Wir stecken also tief in einer Wohnungsnot.«

Und ein Blick nach Berlin. Nach dem Mikrozensus waren im Mai 2022 fast 41.000 Wohneinheiten leerstehend. Das sind dreimal so viel wie Baufertigstellungen pro Jahr in der Hauptstadt. Das heißt? Der Schlachtruf »Bauen, bauen, bauen!« führt in die Irre. Primär müsse es um Bestandsreaktivierung gehen, sagte die Berliner Linke-Wohnungsexpertin Katalin Gennburg im jW-Gespräch. Das sieht Gennburgs Kollegin von den Grünen, Katrin Schmidberger, ähnlich. »Der Mythos der Marktliberalen, nur Bauen würde den Wohnungsmarkt entlasten, ist endlich ausgeräumt.«

Was also tun? Ein Wohnungswirtschaftsgesetz muss her, Eckpunkte dafür will Schmidberger im Herbst vorlegen. Gennburg hat auch Ideen: Wer nicht vermieten wolle, müsse dazu gezwungen werden. »Entweder der Staat beschlagnahmt Leerstand oder die Menschen besetzen Wohnungen!«

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Schumm-Krause (5. Juli 2024 um 09:46 Uhr)
    Vor kurzem wurde bekannt, dass es nicht mehr genug Hausverwalter gäbe. Ebenso nicht genug Hausmeister. Die Verunsicherung mit dem Modernisierungszwang, Wärmedämmung u. a., die Änderung der Grundsteuer und viele andere gesetzliche Vorgaben, überfordern viele Eigentümer, so dass sie nicht mehr vermieten. Die Einstellung der Mieter, sorgsam mit der Wohnimmobilie umzugehen, ist gesunken.
  • Leserbrief von Lothar Glück (5. Juli 2024 um 07:01 Uhr)
    Man sollte dann bitte auch gleichzeitig die sogenannten »Share Deals« komplett abschaffen. Erläuterung findet man z. B. hier: Share Deals in der Immobilienwirtschaft https://www.haufe.de/thema/share-deal/
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (4. Juli 2024 um 22:37 Uhr)
    Da von der Bundesregierung keine Verbesserung der bestehenden und der sich vermehrenden Wohnungsmisere zu erwarten ist, sind nun besonders die BSW und auch die abgehalfterte Linke gefordert, im Parlament ihre Stimme zu erheben, aber auch verstärkt auf der Straße und in den leerstehenden Wohnungen direkt politisch tätig zu werden. Wohnungssuchende, und das gilt bevorzugt für Studierende, sind aufgefordert wieder zu der alten Tradition der Häuserbesetzungen zurückzukehren, auf dass so eine gewisse Abhilfe geschaffen werden kann, als auch der Blick auf die Wohnungsmisere als solche nicht verloren geht, die staatstragenden Parteien, Bundesregierung sowie Mainstreammedien die bestehende Problematik nicht einfach mehr übergehen können. Wichtig ist hierbei auf Lösungen der Wohnungsnot hinzuweisen, diese einzufordern, sei es ein Verbot von leerstehendem Wohnraum, Beseitigung der Bodenspekulation, Kommunalisierung von Grund und Boden, Vorkaufsrecht der Kommunen, erweiterte Wohnungsbauprogramme, Eindämmung des Eigenbedarfs von Vermietern, Verbot der Umwandlung von Privatwohnungen in Büros und sonstigem Gewerbe, sowie verstärkte Kontrollmechanismen durch die Kommunen, ggf. Bund und Länder.

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