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Aus: Ausgabe vom 05.07.2024, Seite 8 / Inland
Hochschulpolitik

»Wir sollten überhaupt keine Kredite aufnehmen müssen«

Frankfurt am Main: Studierende demonstrieren gegen hohe Studienkreditzinsen. Ein Gespräch mit Luca Groß
Interview: Milan Nowak
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Ab in die Schuldenfalle: Teure Studienkredite bei der KfW (Frankfurt am Main, 25.8.2022)

Sie organisieren am Freitag eine Kundgebung vor der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt am Main unter dem Titel: »BAföG für alle statt Schuldenfalle!« Was ist der Anlass?

Die Studienkredite der KfW haben viele Studierende in tiefe Schulden gestürzt. Während der Coronapandemie, als viele ihre Nebenjobs verloren, pries die Bundesregierung die Studienkredite an und übernahm zeitweise die – damals noch relativ niedrigen – Zinsen. Anschließend erhöhte die KfW schrittweise die Zinsen: erst auf fünf, dann sieben, dann neun Prozent im vergangenen Oktober. Laut Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studentenwerks, haben in den Sozialberatungen noch nie so viele Studierende in finanzieller Not wegen eines KfW-Kredits gesessen.

Was fordern Sie?

Es braucht einen Schuldenschnitt für die Studierenden. Viele haben 2020 der Regierung vertraut, einen scheinbar sicheren Vertrag mit Nullzinsen abgeschlossen und sind heute mit Zinszahlungen von 100 Euro im Monat konfrontiert. Wichtiger ist aber: Es braucht ein BAföG für alle. Wir sollten überhaupt keine Kredite aufnehmen müssen. Das ist ein Ausdruck des kaputten Bildungssystems, von jahrzehntelanger Unterfinanzierung des BAföG und der Hochschulen.

Ein Einwand ist, dass ein BAföG für alle eine Subvention auch für Studenten aus reichem Elternhaus wäre.

2021 waren 38 Prozent der Studierenden armutsgefährdet. Bei reinen Studierendenhaushalten liegt der Anteil bei 76 Prozent. Studierende sind nicht mehr die privilegierte Elite von früher. Auch denen, die ihr Studium von den Eltern finanziert bekommen und nicht nebenbei arbeiten – in Frankfurt ist das nur jeder Vierte –, würde mehr Unabhängigkeit von ihren Eltern guttun. Wir wollen weniger Erwerbsarbeitszwang und mehr Zeit, um uns tatsächlich kritisch mit dem Studium beschäftigen zu können. Und nicht nur von einer Prüfung und Abgabe zur nächsten hetzen. Unsere Forderung nach einem BAföG für alle ist untrennbar verbunden mit einer Studienreform, die wir brauchen für eine demokratische Wissenschaft, die die Welt braucht, um die Menschheitsprobleme anzugehen.

Wie meinen Sie das?

Welchen Interessen die Wissenschaft dient, ist umkämpft. Die jahrzehntelangen Kürzungen der staatlichen Grundfinanzierung bringen die Hochschulen in Abhängigkeit von privaten Geldgebern. Die negativen Folgen für die Arbeit der Wissenschaftler sind hinreichend bekannt. Aber auch Studierende sind Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Leistungsdruck, Konkurrenz und Armut und die Trennung von Forschung und Lehre schränken jedoch die kritische Diskussion ein, die es eigentlich für wissenschaftlichen Fortschritt braucht.

Mit wem organisieren Sie die Kundgebung?

Organisiert wird die Kundgebung von uns, dem Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband, SDS, in Frankfurt am Main sowie anderen linken und sozialdemokratischen Hochschulgruppen der Goethe-Universität. Wir haben auch Unterstützung von Fachschaften, Gewerkschaften und der Partei Die Linke. Gemeinsam wollen wir in Redebeiträgen ein Bild von der Lage an den Hochschulen zeichnen: Von der Notlage in der Psychotherapeutenausbildung bis zu den Kürzungen an den hessischen Hochschulen – und davon, was diese Kürzungen und die Auseinandersetzung um Wissenschaftsfreiheit an den Hochschulen mit der »Zeitenwende«-Politik der Bundesregierung zu tun haben.

Welche Perspektive sehen Sie, die Forderungen umzusetzen?

Unser Kampf geht weiter, bundesweit. In Hamburg gingen letzte Woche Studierende auf die Straße unter der Parole: »BAföG für alle statt Profite für wenige!« Die Auswirkungen der Inflation und der Sozialkürzungen wegen der Militarisierung sind spürbar. Die Zeit ist reif für Sozialproteste!

Was kann man tun, um Sie zu unterstützen?

Zur Kundgebung kommen und Studenten- und Sozialproteste in den eigenen Städten organisieren. Als SDS werden wir den Kampf für ein BAföG für alle verstärkt vorantreiben.

Luca Groß ist aktiv beim Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband (Die Linke.SDS) in Frankfurt am Main

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Klaus-Dieter S. (5. Juli 2024 um 20:26 Uhr)
    Beim Verweis auf die Kinder aus begütertem Elternhaus könnte man noch erwähnen, dass deren Eltern das Studium ihrer Kinder steuerlich absetzen können. Bei entsprechendem Einkommen kann diese Steuerersparnis durchaus auch mal beim doppelten des BAföG-Satzes liegen. Im Unterschied zum BAföG und zum Studienkredit ist diese Steuerersparnis nicht rückzahlbar, der Staat lässt sich da nicht lumpen. Die Forderung nach einer Studienreform ist dringend zu begrüßen. Angesichts der dahinterstehenden Herkulesaufgabe und der darin inkorporierten, unterschiedlichen Interessen wären einige Sätze mehr zum Anliegen hilfreich gewesen. Eine partizipative, kritische Studienreform steht konträr zu Akkreditierung, Abrechenbarkeit via ECTS und Verschulung. Das ist nur zu begrüßen, dürfte allerdings bei GEW, fzs (?) und linken Wissenschaftsverbänden wie dem BdWi auf wenig Gegenliebe stoßen, hat man sich doch auf korporatistische Teilhabe am kapitalistischen Normierungssystem eingelassen.
    • Leserbrief von C. Hoffmann (8. Juli 2024 um 12:09 Uhr)
      Der steuerlich absetzbare Betrag ist gedeckelt (Siehe Praxistipp unter https://www.haufe.de/finance/steuern-finanzen/unterhalt-fuer-studierende-kinder-bei-der-steuer-absetzen_190_527452.html) und kann auch nur dann in Anspruch genommen werden, wenn weder Kindergeld bezogen noch der Kinderfreibetrag geltend gemacht wird. Das dürfte den Kreis derer, die diesen Betrag überhaupt geltend machen, eingrenzen.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Klaus-Dieter S. (8. Juli 2024 um 20:47 Uhr)
        Mit dieser Zahl bezog ich mich auf eine Studie zur Studienfinanzierung von Mitte der 90er Jahre. Diese redete von einem Mittelstandsloch, nachdem Bafög-BezieherInnen mit Höchstsatz halbwegs vernünftig Unterstützung vom Staat bekamen (allerdings hälftig rückzahlbar), wohingegen die Eltern von StudentInnen an der Grenze der Bafög-Beitragsbemessungsgrenze kaum von staatlicher Förderung profitierten. Das änderte sich allerdings bei ausreichend hohem elterlichen Einkommen mit staatlichen Förderbeträgen von durchaus dem doppelten des Bafög-Höchstsatzes (nicht rückzahlbar). Veröffentlicht damals vom fzs. (Evtl. auch GEW). Entweder die Studie rechnete auch mit kreativen Lösungen, wie die extra angeschaffte Eigentumswohnung am Studienort (für die dann keine Miete fällig wurde) als lukratives Abschreibungsmodell oder aber am Steuerrecht hat sich seitdem diesbezüglich etwas geändert. Die Studie hat Wert darauf gelegt, alle möglichen Steuerersparnisse zu berücksichtigen.

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