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Aus: Ausgabe vom 08.07.2024, Seite 7 / Ausland
Iran

Gemäßigter Zuspruch

Präsidentschaftswahlen im Iran: »Reformer« Peseschkian gewinnt Stichwahl. Wahlbeteiligung unter 50 Prozent
Von Knut Mellenthin
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Sieger des Wahlkampfs: Massud Peseschkian (Teheran, 4.7.2024)

Der Iran hat am Freitag einen neuen Präsidenten gewählt. Massud Peseschkian kritisiert die Innen- und Außenpolitik seines Vorgängers Ebrahim Raisi, der am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war, in wesentlichen Punkten und verspricht einen Neuanfang. Der 69jährige Herzchirurg Peseschkian hatte schon im ersten Durchgang am 28. Juni vorn gelegen. Weil er aber nicht die absolute Mehrheit erreicht hatte, musste er zur Stichwahl gegen den Zweitplazierten, den 58jährigen Said Dschalili, antreten.

Am Freitag stimmten mehr als 16 Millionen Menschen, fast 55 Prozent der Wähler, für Peseschkian. Dschalili kam auf etwa 13,5 Millionen Stimmen. Die Wahlbeteiligung wird mit nicht ganz 50 Prozent angegeben. Damit lag sie zwar deutlich über den knapp 40 Prozent im ersten Durchgang, dem schlechtesten Wert seit Gründung der Islamischen Republik 1979, war aber trotz erheblicher Propaganda des gesamten Staatsapparats für die Teilnahme an der Wahl immer noch außergewöhnlich niedrig. Das muss als Indikator für die Unzufriedenheit beziehungsweise die Resignation eines großen Teils der Bevölkerung ernstgenommen werden. »Revolutionsführer« Ali Khamenei, gemäß der Verfassung höchste politische und religiöse Autorität des Landes, lobte trotzdem am Sonnabend in einer Botschaft an die Bevölkerung die »warme und leidenschaftliche Wahlbeteiligung« als eine »brillante und unvergessliche Leistung« gegen die Wahlboykottparolen der »Feinde der iranischen Nation«. Dass Peseschkian, der im weiteren Sinn zum keineswegs einheitlichen Reformlager gehört, überhaupt als Kandidat zugelassen worden war, kann als Versuch interpretiert werden, der Wahl öffentliches Interesse zu verschaffen und eine Beteiligung dadurch attraktiver zu machen.

Wie das Feld der Kandidaten aussieht, die zur Wahl antreten dürfen, entscheidet gemäß Verfassung der »Wächterrat«. Dieses Gremium setzt sich aus je sechs Experten für religiöses und staatliches Recht zusammen. Seine Zusammensetzung wird vom »Religionsführer« bestimmt, seine Entscheidungen können nur von ihm geändert werden. Um einen Bewerber von der Wahl auszuschließen, müssen ihm Korruption, mangelnde »Frömmigkeit« oder politische »Unzuverlässigkeit« vorgeworfen werden. Allerdings muss der »Wächterrat« nicht öffentlich begründen, warum er jemanden nicht als Kandidaten zulässt. Fakt ist, dass die Willkür des mächtigen Gremiums nicht nur Bewerber mit systemkritischem Profil trifft. Zur Präsidentenwahl hatten sich nach Raisis Tod rund 80 Bewerber registrieren lassen, von denen nur sechs als Kandidaten zugelassen wurden. Unter den Abgelehnten sind der frühere Präsident Mahmud Ahmadinedschad und der langjährige Spitzendiplomat und Chefunterhändler Ali Laridschani.

Vor dem 28. Juni hatten fünf Fernsehdebatten zwischen den Kandidaten stattgefunden, vor der Stichwahl zwei weitere zwischen Peseschkian und Dschalili. Deutlich wurde dabei, dass der Wahlsieger sich innenpolitisch vor allem als Gegner des Hi­dschab-Zwangs und seiner übergriffigen Durchsetzung sowie der Repression und persönlichen Verfolgung im Kulturbereich darstellt. Außenpolitisch fordert er eine Verständigung mit der westlichen Gegnerfront, um eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen. Ohne diese Voraussetzung, behauptet Irans nächster Präsident, sei eine Überwindung der großen wirtschaftlichen Probleme – insbesondere hohe Erwerbslosigkeit und Inflation – unmöglich. Mit welchen Zugeständnissen er eine Verständigung mit dem Westen erreichen will, hat Peseschkian bisher nicht erklärt.

Öffentlich wird Kooperation und Fairness zur Schau gestellt. In seiner ersten Fernsehansprache nach der Wahl erklärte Peseschkian, er reiche allen Iranern »die Hand der Freundschaft«, alle müssten für den Fortschritt des Landes zusammenwirken. »Revolutionsführer« Khamenei, die Revolutionsgarden und alle anderen Institutionen haben dem Wahlsieger gratuliert und gute Zusammenarbeit gelobt.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Juli 2024 um 22:36 Uhr)
    Ich wünsche dem iranischen Volk, dass der Reformer Peseschkian ihr eigener Deng Xiaoping wird, der mit einem Programm ähnlich dem »Boluan Fanzheng«, das die Grundlage für »Reform und Öffnung« in China bildete, das Land auf den Weg der Entwicklung bringt. Ich drücke die Daumen für ein Volk, das seit dem brutalen angelsächsischen Putsch von 1953 bis heute unterdrückt wurde, und hoffe, dass es endlich den Weg zur längst verdienten Entwicklung einschlagen kann!

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