Keine Kompromisse mehr
Von Nico PoppFast vier Wochen nach dem Debakel bei der EU-Parlamentswahl und vor dem Hintergrund lauter werdender innerparteilicher Kritik hat der Parteivorstand von Die Linke am Wochenende über das Wahlresultat beraten und dazu Stellung genommen. Das beschlossene Papier ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Darin wird Offensichtliches konstatiert – ein »schwerer Schlag« sei das Wahlergebnis, die »Wahlstrategie« sei »nicht aufgegangen«, es gebe »eine tiefgehende Beschädigung unseres Profils in den Augen unserer potentiellen Wähler*innenschaft« –, einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit einer immerhin denkbaren eigenen politischen Verantwortung für das Fiasko aber durchweg ausgewichen. Die Botschaft dieses Papiers lautet, dass der mit noch 2,7 Prozent der Wählerstimmen gewürdigte politische Ansatz der Partei prinzipiell in Ordnung ist.
Die konstatierte »Beschädigung unseres Profils« wird letztlich darauf zurückgeführt, dass der richtige Kurs nicht entschlossen genug verfolgt wurde: Um die Partei zusammenzuhalten und den Fraktionsstatus zu sichern, seien viele Fragen nicht entschieden, Kompromisse gesucht und eine »notwendige Weiterentwicklung unserer Positionen angesichts einer veränderten internationalen und innenpolitischen Lage nicht mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt« worden. Es wird – eine Zurückweisung jüngster Kritiken – sogar ausdrücklich bezweifelt, »ob wir ein gravierend besseres Wahlergebnis hätten erzielen können«, wenn etwa das Thema Frieden in den Mittelpunkt der Wahlkampagne gestellt worden wäre.
Das Spitzenpersonal habe sich im Wahlkampf »gut geschlagen«, sei aber nicht »durchgedrungen«. Die öffentliche Debatte habe sich vor allem um »Außenpolitik und Migration« gedreht – zwei Themen, bei denen Anhänger der Partei zum Teil »gegenteilige Positionen vertreten« würden und die man deshalb bewusst nicht »in den Mittelpunkt« des eigenen, auf »das Soziale« konzentrierten Wahlkampfes gestellt habe. Konstatiert wird außerdem, dass die »Kommunikation um das Ende der Bundestagsfraktion« dazu geführt habe, dass »in Teilen unseres Potentials Unsicherheit« bestand, ob es die Partei überhaupt noch gebe. Der eigenen »Kommunikation« sei es außerdem nicht gelungen, der »kontrafaktischen« Kommunikation Sahra Wagenknechts darüber, »was Die Linke angeblich vertrete«, entgegenzuwirken. Die »inhaltlichen Positionen und Interventionen der Linken« seien durch die Auseinandersetzungen um die Abspaltung der Wagenknecht-Gruppe in den Hintergrund gedrängt worden.
Mit dem am 9. Juni evident gewordenen Umstand, dass erhebliche Teile der bislang noch verbliebenen Linke-Wählerschaft zum BSW wechseln – ein Trend, der sich nach allen vorliegenden Wählerbefragungen bei den drei bevorstehenden ostdeutschen Landtagswahlen noch verstärken dürfte –, setzt sich das Papier nicht vertieft auseinander. Nur beiläufig wird konstatiert, dass BSW-Wählern das Thema Frieden mit Abstand am wichtigsten war; kritische Schlüsse mit Blick auf den eigenen Ansatz in der Friedensfrage werden nicht gezogen. Hier müsse man vor allem »deutlicher wahrnehmbar werden«. Dafür werden den BSW-Wählern beim Thema Migration Vorwürfe gemacht: »Die Wahl des BSW ist also kein Missverständnis ihrer Anhänger*innen, die eigentlich eine linke Partei wählen wollten, sondern es ist eine Alternative« zur »humanitären Migrationspolitik der Linken«. Dem BSW sei es gelungen, »rechte Stimmungen in der Bevölkerung« aufzugreifen. Es sei »Teil der generellen gesellschaftlichen Rechtsentwicklung«.
In dem Papier wird die Bildung einer Arbeitsgruppe angekündigt, die zunächst den Bundesparteitag im Oktober vorbereiten soll. Sie soll aber auch »nach den Bundestagswahlen die Aktualisierung unseres Parteiprogramms vorbereiten«. In der Summe ist das Dokument eine klare Ansage der Mehrheit des Vorstandes, dass sie weitermachen will wie bisher. Mit dem Angebot einer Neubesetzung der Parteispitze – die Vorsitzenden sollen am Sonntag beide signalisiert haben, dass sie nicht an ihren Stühlen »kleben« – soll die aufkommende Kritik aufgefangen und sichergestellt werden, dass sich am politischen Ansatz und an den Mehrheitsverhältnissen im Vorstand nichts ändert.
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Als ehemaliger Linke- und jetzt »rechter« BSW-Wähler stand für mich die Friedensfrage nicht im Zentrum meiner Entscheidung, obgleich auch hier die Partei sich sehr ambivalent gegenüber Waffenlieferungen, klarer Aussagen zur Diplomatie u.s.w. verhält, sowohl im Russland/Ukraine- als auch im Israel/Palästina-Konflikt. Für die Menschen in dieser Republik und für mich als Lohnabhängiger sind jedoch andere Fragen von noch größerer Wichtigkeit: Gesundheit und Pflege, Bildung, soziale Sicherheit und bezahlbarer Wohnraum. Bei letzterem Thema hat sich die Partei nach der letzten Berlin-Wahl von mir als Wähler verabschiedet. Als einzige Partei (außer einige versprengte Grüne und Sozialdemokraten) den Volksentscheid zur Vergesellschaftung profiorientierter Wohnungsunternehmen zu unterstützen, dann eine riesige Zustimmung einzufahren, um sich in eine »rot-grün-rote« Koalition zu begeben, wo man das Stadtentwicklungsressort zugunsten der Justiz (?) abgibt, um dann der Einsetzung einer »Expertenkommission« zuzustimmen (die am Ende zum Ergebnis kommt, dass Vergesellschaftung möglich ist), war aus meiner Sicht rückgratlos, statt die Vorlage zu nutzen. Es ist eben so, wer lieber gendert oder sich über Unisextoiletten Gedanken macht, statt die o.g. Politikbereich zu bearbeiten, wird überflüssig. Zumal mit Frau Schubert oder Herrn Schirdewan nun auch nicht gerade – mit Verlaub aus meiner Sicht – Sympathieträger die Partei repräsentieren. Die davon auszunehmenden Herren Bartsch und Gysi wissen anscheinend noch, dass die Linke aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommt, sind jedoch ohne den nötigen Einfluss. Wenn die Linke nicht wieder klare Politik für die Menschen macht, mit Aussagen, zu denen sie dann auch steht bei »Gegenwind«, wird sie sich leider entbehrlich machen.