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Aus: Ausgabe vom 10.07.2024, Seite 6 / Ausland
Dekolonisierung

Sahelkonföderation steht

Vergangenes Wochenende sind die Staatschefs von Burkina Faso, Mali und Niger zu ihrem ersten Gipfeltreffen zusammengekommen
Von Vijay Prashad
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Als Präsident Burkina Fasos tritt Ibrahim Traoré in die Fußstapfen seines berühmten Vorgängers Thomas Sankara (Niamey, 6.7.2024)

Am 6. und 7. Juli sind die Staatschefs von Burkina Faso, Mali und Niger zu ihrem ersten Gipfeltreffen in der nigrischen Hauptstadt Niamey zusammengekommen, um das von ihnen im vergangenen Jahr ausgerufene Bündnis zu einer echten »Konföderation der Allianz der Sahelstaaten« auszuweiten. Die Gründung dieses Staatenbunds war keineswegs eine übereilte Entscheidung, sondern war bei mehreren Treffen der Premierminister, Außenamtschefs und anderer Beamter in den Hauptstädten der beteiligten Staaten vorbereitet worden. Im Mai dieses Jahres hatten die Außenminister schließlich in Niamey gemeinsam die Grundzüge der künftigen Konföderation entwickelt. Nach einem Treffen mit dem nigrischen Staatschef Abdourahmane Tchiani hatte Malis Außenminister Abdoulaye Diop bereits damals erklärt: »Wir können heute sehr klar feststellen, dass die Konföderation der Allianz der Sahelstaaten geboren ist.«

Wenn man will, kann man von der Gründung dieser Konföderation zurückgehen bis zu den panafrikanischen Emotionen, von denen die antikolonialen Bewegungen im Sahel vor über 60 Jahren angetrieben waren. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die 1946 gegründete Afrikanische Demokratische Versammlung mit dem späteren Präsidenten Côte d’Ivoires, Félix Houphouët-Boigny, an der Spitze und die 1954 gegründete Sawaba-Partei in Niger, geführt von Djibo Bakary. 1956 schrieb Bakary, dass dem alten Kolonialherren Frankreich klargemacht werden müsse, dass eine »überragende Mehrheit der Menschen« ihre eigenen Interessen vertreten sehen wolle und es nicht länger dulde, dass die Ressourcen ihres Landes »die Begierde nach Luxus und Macht stillen«. An dieser Stelle bemerkte Bakary: »Unsere Probleme müssen wir durch uns selbst und für uns selbst bewältigen. Zuallererst müssen wir sie alleine lösen, erst in zweiter Linie mit der Hilfe anderer, aber immer mit Blick auf unsere afrikanischen Realitäten.« Das Versprechen dieser älteren Generation wurde nicht eingelöst, vor allem aufgrund der anhaltenden militärischen Interventionen Frankreichs, welche die politische Souveränität der Region verhindert haben, sowie durch Frankreichs bis heute anhaltende Kontrolle der Finanzpolitik des Großteils seiner früheren afrikanischen Kolonien. Doch die führenden Politiker der betroffenen Länder – auch diejenigen, die mit Paris verbunden waren – versuchten weiterhin, Plattformen für eine regionale Integration zu schaffen, darunter 1970 die Liptako-Gourma-Behörde zur Erschließung der Energie- und Agrarressourcen Burkina ­Fasos, Malis und Nigers.

Abkehr von der Unterordnung

Der aktuelle Trend ist auf die tiefe Frustration in diesen Ländern über eine Reihe von Problemen zurückzuführen, die größtenteils mit den Interventionen Frankreichs zusammenhängen. Dazu gehören: das Aufkommen lokaler Al-Qaida-Ableger, das durch die Zerstörung Libyens durch die NATO (2011) gefördert wurde; das Scheitern der französischen Militärintervention, diese Gruppen einzudämmen, und die Wut über die zivilen Opfer der französischen und US-amerikanischen Militäroperationen in den drei Ländern; die Tatsache, dass die französische Staatskasse bis heute von allen Finanztransaktionen in den Ländern des CFA-Francs profitiert; und die Zweckentfremdung des Antiterrorismusdiskurses zur Unterdrückung von Migration.

Diese Frustration resultierte in fünf Staatsstreichen in den genannten drei Sahelländern seit 2020. Ihre drei gegenwärtigen Präsidenten sind alle Militärs und durch Putsche an die Macht gelangt, wofür sie allerdings zivile Anführer herangezogen haben, um ihnen behilflich zu sein. Was sie eint, ist, dass zwei von ihnen sehr jung sind – Assimi Goïta aus Mali ist 1983 geboren, Ibrahim Traoré aus Burkina Faso ist Jahrgang 1988. Jeder von ihnen scheint die Frustration der Bevölkerung über Frankreich zu teilen, und keiner von ihnen hat noch Geduld mit der prowestlichen Politik der »Stabilität« der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS.

Im Januar 2024 verkündeten die Staaten der Sahelallianz, dass sie nicht vorhätten, sich wieder der ECOWAS anzuschließen, nachdem diese ihre Mitgliedschaft auf Eis gelegt hatte. »Unter dem Einfluss fremder Mächte und unter Verrat ihrer Gründungsprinzipien«, erklärten die drei Staatschefs, sei die ECOWAS »eine Bedrohung für ihre Mitgliedstaaten und -völker geworden«. Die ECOWAS war 1975 gegründet worden. Ihre Gründung stand in enger Verbindung zur Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), die 1963 unter Führung des ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah ins Leben gerufen worden war.

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Der »Große grüne Wall« ist ein gigantisches Wiederaufforstungsprojekt, das sich quer durch die Sahelregion zieht (Senegal, 11.7.2021)

Regionale Kooperation

Die ECOWAS hatte die drei Sahelstaaten im Anschluss an die jeweiligen Militärputsche bis auf weiteres ausgeschlossen, obwohl die ECOWAS selbst unter anderem von ehemaligen Militärs gegründet worden war, die zu Staatschefs aufstiegen, wie Nigerias Yakubu Gowon, Togos Gnassingbé Eyadéma und Ghanas Ignatius Kutu Acheampong. Zur Gründung der ECOWAS hatte General Acheampong erklärt: »Der Hauptgrund für die Gründung dieser Gemeinschaft war es, Jahrhunderte der Teilung und künstlicher Grenzen zu überwinden, die Westafrika von außen auferlegt wurden, und zusammen eine gemeinsame homogene Gesellschaft wiederaufleben zu lassen, wie sie existierte, bevor die Kolonialisten unsere Küsten eroberten.« Auf dem Gipfeltreffen zur Gründung der Sahelkonföderation am Wochenende bestätigten die drei Staatschefs erneut, nicht zur ECOWAS zurückkehren zu wollen.

In seiner kraftvollen Rede zum Ende des Gipfeltreffens erklärte Burkina Fasos Staatschef Traoré: Die »Imperialisten sehen Afrika als ein Imperium der Sklaven«, sie glaubten, »die Afrikaner gehören ihnen, unser Land gehört ihnen, unser Untergrund gehört ihnen«. Das Uran des Niger erleuchte Europa, sagte er, doch die Straßen in Niger selbst blieben dunkel. Das, verkündete Traoré, müsse sich ändern. Bei dem Treffen wurden Abkommen geschlossen, die den freien Verkehr von Menschen und Waren erlauben sollen. Ein Stabilisierungsfonds und eine Entwicklungsbank sollen eingerichtet werden, um die Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu reduzieren.

Im Februar 2024 veröffentlichte das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) den Bericht zur menschlichen Entwicklung im Sahel 2023, der den immensen Reichtum beschrieb, der sich neben der Armut seiner Bevölkerung befindet. Diese Länder verfügen über Goldreserven, Uran, Lithium und Diamanten, doch es sind vor allem westliche multinationale Minenkonzerne, die bislang die Profite ausgesaugt haben, auch durch illegale Buchführungspraktiken. Der UNDP-Bericht bemerkt, der Sahel habe »eine der höchsten Solarproduktionskapazitäten der Welt – 13,9 Milliarden Kilowattstunden im Jahr im Vergleich zum weltweiten Gesamtverbrauch von 20 Milliarden«, während das Weltwirtschaftsforum notierte, dass die Region in der Lage sei, Hunderte Milliarden US-Dollar durch den Export gesunder Nahrung zu verdienen, die entlang der »Großen Grünen Mauer« produziert werden können. Ein Gebiet, das sich vom Senegal bis nach Äthiopien erstreckt. Dies sind unerschlossene Potentiale für die Menschen der Region.

1956 schrieb der Nigrer Bakary, dass die Menschen des Sahel ihre Probleme selbst und für sich selbst lösen müssen. Im November 2023 veranstaltete die Regierung Malis ein Treffen der Wirtschaftsminister der drei Staaten, gemeinsam mit Experten der Region. Sie verbrachten drei Tage damit, innovative Projekte zu entwickeln. Doch nichts davon könne voranschreiten, sagten sie, solange die Sanktionen der ECOWAS auf ihnen lasteten. 63 Jahre nach der Unabhängigkeit, so Nigers Finanzminister Boubacar Saïdou Moumouni, »suchen unsere Länder immer noch echte Unabhängigkeit«. Der Weg in die Konföderation ist ein Schritt in diese Richtung.

Vijay Prashad ist Direktor des ­Tricontinental-Instituts mit Sitz in Neu-Delhi, Historiker, Journalist und Buchautor

Der Text erschien zuerst auf englisch auf Globetrotter.media

Übersetzung: Barbara Eder

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (10. Juli 2024 um 07:19 Uhr)
    Ich hoffe, die »Konföderation der Allianz der Sahelstaaten« erreicht ihre Ziele. An Knüppeln, die man ihr zwischen die Beine werfen will, wird es nicht mangeln. Ob sich die Kompradoren-Bourgeoisien, z. B. in Kenia oder Namibia, davon beeindrucken lassen?

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