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Aus: Ausgabe vom 11.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Kernschmelze verhindert

Ein Tag ist mehr als genug: Das Nürnberger »Save the Core«-Festival
Von Maik Rudolph
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Preisfrage an aufgeweckte jW-Leser: Was läuft hier grad – der schnelle oder der langsame Song?

Matsch; bittere Pillen, die man schlucken muss, im Tausch für wenige musikalische Perlen; schlechtes Bier: Muss der Autor erwähnen, dass er Festivals hasst? Für Gefühlsrentner wurde am Sonnabend (6.7.) das erste »Save the Core«-Festival veranstaltet. Dauer: ein Tag. Ort: Volkspark Dutzendteich, Ältere kennen ihn als Reichsparteitagsgelände. Veranstaltet vom lokalen Concertbüro Franken – und nicht wie mittlerweile Wacken von KKR & Co., den Eigentümern der Axel Springer SE.

Untergekommen neben dem Gelände, in einer Melange aus Altneubauten, vermengt mit farbenfrohen Altaltbauten, dazwischen ein 20-Geschosser. Plötzlich steht man in der Parkwohnanlage Zollhaus, dem Planetenring, da die Straßennamen in diesem 50er-Jahre-Bahnerwohnviertel an der Milchstraße orientiert sind: Googi-Architektur trifft auf retrofuturistische Bauversprechen, die man auch in Nürnbergs Partnerstadt, der ostthüringischen Metropole Gera, finden könnte.

Das historische Reichsparteitagsgelände abzuspazieren, ist leider nicht ohne weiteres drin. Die große Zeppelintribüne, auf der 1945 das überdimensionierte Hakenkreuz gesprengt wurde, war nicht begehbar: Wo Reichsparteitag war, soll DTM-Rennen werden. Nürnburgring? Dafür reflektiert die erbarmungslose Sonne auf dem Silbersee, der auch einen Schatz birgt: Mitten im Idyll baden Enten in einer ehemaligen Sondermülldeponie. Östlich des Parks zeigt der Burger King des Führers – eine Halle wie aus den Blaupausen für Germania, man sieht noch den Abdruck des abmontierten Reichsadlers an der Fassade –, wer den Krieg gewonnen hat.

Zu spät angekommen für den lokalen Opener The Pill, dafür gibt es fränkisches Helles aus Einliterplastebechern. Die Sorge, dass Astra oder Warsteiner sich als Werbepartner aufgezwungen hätten, hat sich nicht bestätigt. Schon nagelten die Holländer Born from Pain ein metallisches Hardcore-Brett dem Publikum vor die Köpfe. Es bretterte danach weiter, von oben. Bis zur Unwetterentwarnung wurden alle ins nebenan gelegene Stadion evakuiert.

Ein anderer Sturm: Pro-Pain touren ohne Unterlass. Groovender Bollo-HC, alles klingt gleich. Das ist keine Kritik. Anders als Szenekollegen, die früher das Star Sprangled Banner etwas sehr feierten (Warzone), folgten Gary Meskil und seine Recken von Anfang an der Spur des Öls und schmeckten schon 1992 den »fauligen Geschmack der Freiheit« – apropos: Am Wochenende kursierte ein Radiomitschnitt von Joseph Biden, in dem er stolz erklärte, die erste schwarze Vizepräsidentin gewesen zu sein. Anschließend beim Mittagessen Talco verpasst. Gibt Schlimmeres.

Roadrunner Records hatte sie alle, dort floss die Metal- und HC-Szene der 90er ineinander. Crossover im eigentlichen Sinne: Hardcore, Thrashmetal und Gothic obendrauf. Life of Agony operieren an dieser Schnittstelle. Die Brooklyner Mina Caputo, früher Keith, Joey Zampella und Alan Robert spielen in alter Form. Diesmal ist Veronica Bellino am Schlagzeug – die Drummer wechselten sie oft, den tragenden bis manisch-peitschenden Sound prägte aber Sal Abruscato (Type 0 Negative) auf ihrem Erstling »River Runs Red« (1993). Caputo verarbeitet lyrisch Biographisches, darüber, wie sie mit ihrer Rolle als Mann kämpfte, der Hippiemutti hinterhertrauernd, die früh im Rausch gestorben ist – kathartisch, Metal zur Selbstmordprävention.

Hätte der Autor nicht unsinnig spät in seinem Leben mit dem Rauchen angefangen, dann hätte er auch mit 14 auf dem Schulhof bei den coolen Skatern Millencolin gefeiert und mehr zu ihrem Auftritt zu sagen. Was wurde eigentlich aus den »Punk-O-Rama«-Samplern auf Epitaph Records? Talkin’ ’bout Suicide. Suicidal Tendencies: Wer sie liebt, mag sie. Nichts gegen Bandanas.

16 Jahre alt und arroganter Punker – natürlich hörte der Autor die HC-Skate-Punker für Gymnasiasten, Bad Religion. Ein fulminanter Abschluss des Tages: Es gab den schnellen Song und den langsamen mit den hymnischen Oohs und Ahhs, wie die Bandmitglieder öfter in Interviews spötteln. So lakonisch wie sie sich in einem ihrer Hits der Epitaph-Jahre über den »American Jesus« amüsieren, so ironisch hallen die letzten Worte des Abends nach, von Evolutionsbiologen und Sänger Gregg Graffin: »Danke for saving the core!«

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