75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 4 / Inland
Atomtod? Nein, danke!

Die Bombe im Blick

Bundesverteidigungsminister besucht Luftwaffenstützpunkt Büchel. Standort von US-Atomwaffen soll ausgebaut werden. ICAN warnt vor Eskalation
Von Marc Bebenroth
4.JPG
Boris Pistorius (SPD) während seiner Stippvisite im Tower des Fliegerhorsts Büchel (Ulmen, bei Büchel, 18.7.2024)

Die Kameraleute quetschen sich zwischen Konsole und Sichtfenster. Ihre Aufmerksamkeit gilt Boris Pistorius (SPD) und jeder seiner Gesten. Am Donnerstag hat der Bundesverteidigungsminister den Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Büchel besucht und dort auch den Tower des Fliegerhorsts bestiegen. Mehr als eine Milliarde Euro soll auf dem Gelände sprichwörtlich vergraben werden. Der Minister wollte sich über den Stand des Vorhabens informieren lassen. Geplant ist der Ausbau der Start- und Landebahnen sowie die Errichtung eines angeblich unüberwindbaren Zauns um das Militärgelände. »Wir sind extrem schnell und bislang komplett im Zeitplan«, sagte der Minister.

Dort lagern – offiziell unbestätigt – US-Atombomben, die im Ernstfall von deutschen Piloten über vermutlich russischen Zielen abgeworfen werden sollen. Noch dienen die Kampfjets vom Typ »Tornado« dieser sogenannten nuklearen Teilhabe. Ab 2027 soll der Wechsel zum US-Tarnkappenbomber F-35 erfolgen, für dessen Herstellung der Konzern Lockheed Martin die Gewinne einstreicht. Ab 2030 sollen die »Tornados« des europäischen Konsortiums Panavia Aircraft vollständig abgelöst sein.

Der neue Hochsicherheitszaun dürfte sich vor allem gegen Atomwaffengegner richten, denen es in der Vergangenheit wiederholt gelungen war, auf dem Gelände des Luftwaffenstützpunktes zu protestieren. Das Bündnis »Büchel atombombenfrei« hatte für Donnerstag zum Protest am Haupttor aufgerufen. In der unmittelbaren Umgebung werde die geplante F-35-Stationierung begrüßt, berichtete hingegen der SWR am Donnerstag. Der Stützpunkt sei schon seit Jahrzehnten ein sicherer Wirtschaftsfaktor in der Region, habe es von der Verbandsgemeinde Ulmen geheißen.

Mit seinem Besuch unterstreiche Pistorius »das Festhalten an der unmenschlichen, veralteten und gefährlichen nuklearen Abschreckungsdoktrin«, erklärte Aicha Kheinette von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, ICAN Deutschland, am Donnerstag gegenüber junge Welt. »Atomwaffen stellen eine immense Bedrohung für die Menschheit und die globale Sicherheit dar.« Pistorius hatte Anfang des Jahres bestätigt, dass die Kosten für den Ausbau von Büchel deutlich steigen, wie der SWR am 27. Februar berichtete.

Wirtschaftswoche und Business Insider kolportierten eine mögliche Kostensteigerung von ursprünglich 525 Millionen auf mehr als 1,2 Milliarden Euro. Mehr Geld hatte Pistorius am Mittwoch auch dem Logistikkommando der Bundeswehr in Erfurt versprochen, wie der MDR berichtete. In den nächsten Jahren sollen 95 Millionen Euro dorthin fließen. Die im Haushaltsentwurf 2025 enthaltenen rund 53,3 Milliarden Euro halte der Minister für nicht ausreichend. Er habe einen Bedarf von 58 Milliarden angemeldet, erklärte er laut MDR.

In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Rheinischen Post behauptete der SPD-Politiker, »die Sorge der Menschen vor einer Eskalation« verstehen zu können. Mehr Gewicht habe, »dass sich die Rahmenbedingungen völlig verändert haben. An der Ostflanke der NATO steht wieder ein Aggressor«. Er begrüße auch deshalb, dass sich zum Stichtag 8. Juli 15 Prozent mehr Menschen für den Militärdienst beworben hätten. Nach weitreichenden Waffensystemen wie die vom Typ SM-6 und »Tomahawk« sowie nach Überschallwaffen gefragt, die in der BRD stationiert werden sollen, betonte der Minister, dass es sich dabei »um konventionelle Waffensysteme« handeln werde. Die seien angesichts russischer »Iskander«-Raketen in der Exklave Kaliningrad zur Abschreckung erforderlich.

Jene US-Waffen mit »deutlich größerer Reichweite« seien auch nuklear bestückbar, weshalb Kheinette zufolge die Vorwarnzeit im Falle eines Angriffs drastisch verkürzt werde. ICAN Deutschland fordert die Bundesregierung daher auf, sich »entschlossen für die Abschaffung aller Atomwaffen« einzusetzen und den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. Die sogenannte nukleare Teilhabe sei sofort zu beenden.

Noch am Donnerstag reagierte Russlands Außenminister Sergej Rjabkow auf die Einlassungen von Pistorius. Moskau werde »mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren, die wir für angemessen halten«, betonte Rjabkow laut Nachrichtenagentur TASS. Es gebe »eine breite Palette von Optionen« und gehe nicht darum, »irgend jemandem zu drohen, sondern darum, die effektivste Methode zu finden, um auf die sich verändernden Herausforderungen zu reagieren«.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. aus Christa Kustka, Litschau (19. Juli 2024 um 15:20 Uhr)
    Was wird in Büchel »verteidigt«? Die regelbasierte, westliche Weltordnung unter dem NAHTOD-Schirm? Bitte, liebe jW-Redakteure, ihr verfasst klare, aussagekräftige Artikel zu den verschiedensten Themen, dafür bin ich sehr dankbar! Aber wo soll was verteidigt werden? Also, ich bitte um eindeutige, dem Sachverhalt entsprechende Bezeichnung: Kriegs-… Die aktuelle Lage, die sich tagtäglich mehr zuspitzt, ist ohnehin nur mit größter Mühe zu ertragen …

Ähnliche:

  • In einem Boot? Die Ära Brandt mag den Westdeutschen damals das G...
    14.05.2022

    Illusion und Imperialismus

    Episode und Kontext. Vor 50 Jahren wurden die Ostverträge verabschiedet. Trotz aller folgenden Umbrüche haben sie dennoch etwas mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine zu tun
  • Abschreckend: Die Strategien des »Kalten Kriegs« geistern noch i...
    30.10.2021

    Die Liebe zur Bombe

    Aufregung bei den »atomaren Atlantikern«: Union fordert von »Ampel«-Parteien Bekenntnis zur weiteren Lagerung von US-Atomwaffen in der BRD

Regio: