75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €

Biologie

Von Helmut Höge
Helmut_Hoege_Logo.png

Über 80 Prozent der US-Biologen sind Eigentümer oder Teilhaber von Firmen, die ihre Forschungsergebnisse vermarkten, so die US-Biologiehistorikerin Lilly E. Kay im Jahr 2020. Vor dem Zweiten Weltkrieg haben die Biologen noch »ohne jegliches kommerzielles Interesse geforscht«, meint die US-Mikrobiologin Lynn Margulis. Ihre Kollegen »interessieren sich heute nicht mehr für die Geschichte des Lebens auf der Erde, sondern vor allem dafür, bessere Tomaten zu machen«, kritisierte sie.

Gleichzeitig versprechen uns die angloamerikanischen Naturwissenschaftler mit ihren albernen Erkenntnissen das Blaue vom Himmel. So tönt zum Beispiel der Biologe Semir Zeki in seinem Buch »Glanz und Elend des Gehirns« (2010): »Mein Ansatz ist von der Wahrheit bestimmt, von der ich denke, dass sie unumstößlich ist: dass jede menschliche Handlung von der Organisation und den Gesetzen des Gehirns bestimmt ist und dass es deshalb keine wahre Kunst- und Ästhetiktheorie geben kann, außer wenn sie auf Neurobiologie beruht« – also auf einem höchst fragwürdigen Forschungsansatz.

Fragwürdig ist auch der US-Bestseller »Die digitale Revolution. Verheißungen einer vernetzten Welt – die Folgen für Wirtschaft, Management und Gesellschaft« (1996) von Don Tapscott, Vorsitzender der wirtschaftsstrategischen Denkfabrik nGenera Insight. Tapscott prophezeit in seinem Buch: Die neuen Medien werden eine völlig neue Ökonomie hervorbringen, die die alten Wertschöpfungsketten durch -netze ersetzt und eine neue Unmittelbarkeit erlauben. Zudem werden in den Unternehmen Kommandohierarchien obsolet, wobei »zunehmend Kapital durch Geist geschaffen wird« – Kreativität, die nicht mehr von oben »beaufsichtigt und befohlen« wird. »In der modernen Wissensökonomie sind Lernen und Arbeiten hundertprozentig identische Aktivitäten«, deswegen werden die neuen »Unternehmen die zukünftigen Universitäten sein«. Als Beispiel erwähnt Tapscott die Universität des Fast-Food-Konzerns McDonald’s.

Die hier zitierten Wissenschaftsutopien sind grauenhafte Dystopien. Manchmal ist so ein nach Ruhm, Ehre und Reichtum gierender Dumpfbeutel aber auch ehrlich genug, um das selbst zu erkennen. Etwa der Genetiker und Berater von Biotechunternehmen William Bain in der Zeitschrift Nature Biotechnology: »Die meisten Anstrengungen in der Forschung und in der biotechnologischen industriellen Entwicklung basieren auf der Idee, dass Gene die Grundlage des Lebens sind, dass die Doppelhelix die Ikone unseres Wissens ist und ein Gewinn für unser Zeitalter. Ein Gen, ein Enzym, ist zum Slogan der Industrie geworden. (…) Kann das alles so falsch sein? Ich glaube schon, aber ich bin sicher, das macht nichts. Denn die Hauptsache ist, dass es funktioniert: Manchmal funktioniert es, aber aus den falschen Gründen, manchmal wird es mehr Schaden anrichten als Gutes tun. (…) Aber die beobachtbare Wirkung ist unbestreitbar. (…) Wir müssen nicht das Wesen der Erkenntnis verstehen, um die Werkzeuge zu erkennen. (…) Inzwischen führen die Genomdatenbanken, die geklonten Proteine und anderes Zubehör der funktionalen Genetik zu Werkzeugen, Produkten, Einsichten, Karrieren und Optionen an der Börse für uns alle.«

Ironischerweise nennt sich die mit Computern und anderen Hightechgeräten operierende Biologie heute »Life Sciences«, obwohl sie mit dem »Leben« so gut wie nichts zu tun hat. Das Wort »Leben« taucht in den Biologiebüchern schon so gut wie gar nicht mehr auf. Die Lebenswissenschaftler erforschen nicht mehr das Leben, sondern »die Algorithmen des Lebendigen«, stellte der französische Genetiker und Nobelpreisträger François Jacob klar.

Der 2022 verstorbene französische Wissenssoziologe Bruno Latour hielt dagegen die ganze Genetik für einen ärmlichen »Reduktionismus«, räumte allerdings ein, dass sie in der Industrie durchaus Sinn ergebe, d. h. Gewinne verspricht.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Mehr aus: Feuilleton