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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Meyer-Werft auf Betteltour

Papenburg: Milliardenschwere Finanzierungslücke. Wirbel um möglichen Einstieg Niedersachsens beim Kreuzfahrtschiffgiganten
Von Burkhard Ilschner
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Alles erst halb fertig: Das Kreuzfahrtschiff »Silver Ray« in einem Baudock der Meyer-Werft (Papenburg, 4.10.2023)

Immer wieder, immer mehr – die neuere Geschichte der Papenburger Meyer-Werft scheint undenkbar ohne ständige Subventionen und weitere öffentliche Hilfen. Jüngster Auswuchs ist, wie der NDR Dienstag abend berichtete, die Ankündigung des Landes Niedersachsen, bei dem Unternehmen einzusteigen. Seit Wochen ist das knapp 225 Jahre alte Familienunternehmen wieder mal in den Schlagzeilen: Es braucht angeblich dringend viel Geld, es gebe eine »Finanzierungslücke« bis Ende 2027 in Höhe von rund 2,7 Milliarden Euro, um zu überleben und um möglichst viele der zur Zeit rund 3.300 Arbeitsplätze zu erhalten.

Das klingt erschreckend, doch der Skandal läuft seit Jahrzehnten mit immer neuen Episoden. Aber im Emsland, in Niedersachsen und im Bund sind nur wenige bereit, das auch so zu nennen. In der strukturschwachen Region um Papenburg bietet die Meyer-Werft mit Abstand die meisten Arbeitsplätze. Sie sorgt zudem bei vielen Zulieferern für relativ sichere Beschäftigung, was über den Konsum wiederum die regionale Wirtschaft stärkt. Wer also die Familie Meyer kritisiert, riskiert böse Worte – nicht nur von deren Seite. Auch mehrfache Enthüllungen über schlechte Arbeitsbedingungen oder die miese Situation von Leiharbeitern änderten daran wenig.

Die Meyer-Werft gehört seit langem zur Weltelite der Kreuzfahrtschiffbauer. Schiffbau wie am Fließband: Die Werft hat lange exorbitant verdient. In Papenburg entstehen gigantische schwimmende Vergnügungspaläste, die anschließend Weltmeere querend jeweils Tausende Passagiere in Küstenstädte tragen. Die profitieren zwar von diesem Boom, drohen aber zunehmend darunter zu ersticken – und beginnen sich zu wehren.

Auch zur Zeit hat das Unternehmen volle Auftragsbücher bis 2028, kann die georderten Schiffe aber angeblich nicht bauen. Branchenüblich würden nur rund 20 Prozent der Baukosten vom Auftraggeber angezahlt, etwa 80 Prozent müssten jeweils von der Werft vorgeschossen werden. Nicht nur die Werftleitung selbst, auch die Gewerkschaft sowie etliche Lokal- und Landespolitiker beklagen, dieses Geld fehle derzeit – besagte 2,7 Milliarden Euro. Schuld seien die Folgen der Coronakrise, gemeint ist der temporäre Zusammenbruch des Kreuzfahrtgeschäfts sowie der starke Anstieg der Energie- und Rohstoffkosten.

Jüngst hat ein Sanierungsgutachten Medienberichten zufolge »Zuversicht« verbreitet, allerdings müssten ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag eingespart und rund 340 Stellen – »weniger als befürchtet« – gestrichen werden. Und es werde »frisches Geld« benötigt, konkret Kreditbürgschaften für rund 2,3 Milliarden sowie etwa 400 Millionen Eigenkapitalaufstockung. Woher und wie? Eher unklar, momentan zumindest. Sicher scheint, dass die öffentliche Hand, also die Steuerzahler, Bürgschaften gewähren soll. Von Zwischenfinanzierungen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist ebenso die Rede wie von einer direkten Landesbeteiligung. Die aktuelle Zusage Niedersachsens soll angeblich die Hälfte der Eigenkapitalaufstockung bringen, allerdings »nicht direkt« zu Lasten des Haushalts, vermutlich also über einen der inzwischen üblichen Schattenetats. Hannover fordert dafür Zugeständnisse, etwa, dass Meyer seinen vor Jahren ins Steuerparadies Luxemburg verlegten Firmensitz wieder nach Deutschland »umbucht« – das aber ist traditionell eigentlich nicht Meyers »Ding«.

Die Werft und vor allem ihr Patriarch Bernard Meyer – bestens vernetzt in regionaler Politik und maritimer Wirtschaft – sind eher bekannt für immer neue Unterstützungsforderungen. Das Kernproblem: Meyer baut Schiffe in einer Größe, für die die Ems nicht geeignet ist. Standortverlagerung an die Küste, etwa nach Emden, hat er abgelehnt. Pläne für einen eigens gebauten Kanal haben sich zerschlagen. Für mehrere hundert Millionen Euro Steuergeld entstand ein Sperrwerk, ständige Baggerarbeiten im Fluss kosten das Land jährlich zweistellige Millionenbeträge. Naturschützer ließen sich mit weiteren Millionen geplante Einsprüche abkaufen, in den fünf Jahren von 2019 bis 2023 kassierte allein die Stammwerft mehr als zehn Millionen Euro Subventionen, etwa als Innovationsförderung.

Das sind nur einige Fakten über die Meyer-Werft. Eines aber bleibt bislang unerwähnt: Patriarch Meyer, einer der reichsten Deutschen, hatte 2006 laut Manager-Magazin ein Privatvermögen von rund 400 Millionen Euro, 2012 gar 700 Millionen. Wieviel zudem in der Familienstiftung oder verbundenen Firmen steckt, ist nicht bekannt. Wäre völlige Offenlegung vor weiterer Subvention oder Bürgschaft nicht fair?

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  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (25. Juli 2024 um 11:41 Uhr)
    Ist der Firmensitz nicht in Luxemburg oder den Niederlanden? Zahlt Herr Meyer seine Steuern eigentlich in Deutschland? Warum kriechen die Sozen diesem Herrn ständig in den Arsch, nur weil er einmal »gut« mit dem Terminator der Sozen, Gerhard Schröder konnte? Lies und Weil – beides bekannte »rechte Kanalarbeiter & wirkliche Arbeiterfreunde« – sind auf Parteispenden angewiesen. Aber den Steuerzahler für Arbeitgeberabenteuer blechen zu lassen, ist eben typisch für diese »Arbeiterpartei« …

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